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Wirte sterben ruckzuck

Über eine Küche, die 24 Stunden geöffnet ist, aber nichts zu bieten hat.

Zwei meiner besten Freunde sind Wirte. Wirtn, wie's bei uns daheim in der Mehrzahl heißt. Und genauer muss es heißen: Die beiden sind Wirtn gewesen, und zwar gute Wirtn. Ein guter Wirt kennt den Unterschied zwischen Gasthaus und Wirtshaus. Die beiden wussten, wie das geht, dass man sich nicht in demütiger Tourismusmanier dem Gast unterwirft, den Gästen aber trotzdem das Gefühl gibt, sich wia z'Haus zu fühlen. Ich mag, wenn mir der Wirt sagt, was ich haben kann, obwohl es nicht auf der Karte steht. Ich bin auf den Wirt angewiesen, um mich unter Leuten wohlzufühlen. Aber wie gesagt: Das ist vorbei, weil beide Wirtn gewesen sind. Die Vergangenheitsform hat einige Gründe. Sterben und Krankheit gehören nicht dazu. Gottlob, wie's daheim heißen tät'. Aber Wirte sterben ruckzuck. Lange schon. Wirtesterben. Dafür gibt's jetzt immer öfter Versorgungsautomaten. Sie werden zu einem flächendeckenden Normalzustand. Ein Automat kostet nur Anschaffungs-, ein bisschen Wartungs- und Strom-, aber keinerlei Lohnnebenkosten. Der Automat nimmt keinen Urlaub. Der Automat schert sich nicht um Work-Life-Balance, kann nicht schwanger werden. Der Automat bleibt immer kühl. Der Automat ist der ideale Arbeitabnehmer. Der Automat dient, wenn man ihn bedienen kann.

Neulich hab' ich einen Wirt, wo ich oft, aber länger schon nicht mehr zugekehrt bin, auf meiner Radausfahrt eingeplant. Nach drei Stunden zum Wirt, dann noch eine Stunde bis zur Dusche daheim. Wegen einer Essigwurst wär's gewesen. Ich bin müde. Ich habe Durst, ein bisschen Hunger auch. Ich musste mir eine Landjäger und ein recht vertrocknetes Weckerl aus dem Automaten drücken. "Unsere Küche - jetzt 24 Stunden für Sie geöffnet", steht auf dem Schild neben dem Automaten. Dazu hat jemand einen Smiley gezeichnet. Bargeld geht nicht. Aber Kartenzahlung geht auch im dörflichen Nirgendwo. Ich nehm' zur Landjäger (immerhin von der nahe gelegenen Metzgerei und so als "regionale Spezialität" angepriesen) auch ein eiskaltes Cola. Ich hätt' Lust auf einen Radler gehabt. Ich setze mich auf die Bank vor dem Haus, das - wie ich lese - nur mehr "Freitag bis Sonntag (nicht an Feiertagen)" ein Wirtshaus ist. Es ist Mittwochabend, fürs Wochenende hab' ich ausgemacht, einen meiner Wirte-Freunde wieder einmal zu besuchen. Die abendliche Sommersonne scheint über die Hügel und lässt unter mir den See schimmern. Ein paar Strahlen schaffen es durch die dichten Lindenbäume in den Gastgarten. Ich setze mich auf die Holzbank an der Hauswand. Im ersten Stock öffnet sich ein Fenster. "Sitzen kann man da nur, wenn das Gasthaus geöffnet ist", sagt eine strenge Stimme. Können tät' ich schon, aber dürfen darf ich offenbar nicht. Aber ich bin eh fertig und gezahlt hab' ich auch schon. Ich lass' die leere Coladose und das Papierl, in das die Landjäger gewickelt war, dann z'fleiß auf dem Tisch liegen. Irgendwer wird damit dann noch Beschäftigung finden in der Brave New Gastrowelt.