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Herr Vizekanzler, wie erkläre ich das meinem Kind?

Regeln und Gesetze sind da, um eingehalten und nicht umschifft zu werden. Das Kind muss das noch lernen, Politiker auch.

Karin Zauner

Es gibt Familienregeln. Eine lautet: Kein Handy während der Mahlzeiten. Der Elfjährige hält sich daran. Das sagt er zumindest. Auf die Frage, warum er dies behaupte, wenn er doch unter dem Tisch mit dem Mobiltelefon hantiere, antwortet er, er spiele weder damit, noch telefoniere er oder verschicke WhatsApp-Nachrichten. Er würde sich nur um Updates kümmern, was ja das Handy quasi ohne ihn mache. Man könne ihm also nicht vorhalten, dass er mit dem Handy spielte oder kommunizierte, er würde es lediglich servicieren. Es folgen lange Erklärungen des Juniors, warum diese Beschäftigung mit dem Mobiltelefon jedenfalls nicht auf Mamas roter Liste steht, weil die Mama ja nur Handyspiele und Handykommunikation bei Tisch verbannt hat.

Der Bub liest zu viel Zeitung, das steht fest, vor allem zu viel über Politik. Denn hier wird ihm beinahe täglich vorgemacht, wie man Regeln und Gesetze nicht nur umgeht, sondern dies auch noch frech zu argumentieren versucht.

Nehmen wir den Herrn Michael Spindelegger, seines Zeichens Vizekanzler und Finanzminister der Republik. Der installierte eine Aufklärungstruppe rund um den Hypo-Skandal, für den die Steuerzahler auch dank Versagens der Politik Milliarden zahlen müssen. Ab einem geschätzten Auftragswert von 100.000 Euro müssen laut Vergabegesetz in Österreich Aufträge ausgeschrieben werden. Die von Spindelegger beauftragte Griss-Kommission, nach deren Leiterin Irmgard Griss benannt, wird diese Summe locker überschreiten. Doch das ficht den Finanzminister nicht an. Denn er vergab an jedes einzelne Kommissionsmitglied einen separaten Auftrag und begründet dies damit, dass jedes Kommissionsmitglied den Sachverhalt aus unterschiedlichen Disziplinen untersuchen würde. Daher handle es sich "um voneinander getrennte Vorhaben". Was bitte sind bei einer Untersuchung der Vorgänge rund um die Verstaatlichung der Hypo Alpe Adria getrennte Vorhaben?

Auch der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt schert sich nicht um Gesetze. Er will in Deutschland eine Pkw-Maut einführen, die aber nur Ausländer zahlen sollen, weil er sie den deutschen Autofahrern über die Kfz-Steuer wieder rückerstatten will. Nach EU-Recht darf eine Maut EU-Ausländer nicht benachteiligen. Auch deutsche Staats- und Verfassungsrechtler hegen massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Plans und sehen schon im deutschen Koalitionsvertrag das Vorhaben so formuliert, dass es mit dem Europarecht unvereinbar ist.

Nur sehr widerwillig lässt sich das elfjährige Kind davon überzeugen, dass es schlicht nur trickse und Regeln missachte, weil völlig klar sei, welchen Zweck das Handyverbot am Tisch erfüllen soll. Nämlich das Miteinander in der Familie, das Zuhören, das Füreinander-da-Sein zu pflegen. Für ein Handyverbot bei Tisch muss also nicht die gesamte Liste, was man damit allenfalls nicht tun darf, angeführt werden. Die Regel ist so eindeutig wie eine Ausschreibungspflicht oder ein EU-Gesetz.

Auch Herr Spindelegger weiß genau, wozu öffentliche Ausschreibungen da sind. Um Transparenz zu gewähren, um Mauscheleien zu verhindern, um Kontrolle zu gewährleisten. Das interessiert ihn aber nicht. Er schaut lieber, wie man dies alles umschiffen kann. Ebenso weiß Herr Dobrindt um seine Trickserei. Das ist ihm egal, selbst das wahrscheinliche Scheitern seines Plans hält ihn nicht zurück, Hauptsache, es nützt ihm politisch.

Herr Spindelegger, wie soll ich meinem Kind erklären, dass die bewusste Umgehung von Regeln falsch ist, wenn Eliten täglich das Gegenteil vormachen? Wie soll man Kindern Ethik und Moral vermitteln, wenn sie täglich erfahren, dass ranghohe Politiker diese Werte mit Füßen treten? Was bedeutet dies für eine Gesellschaft?

Bis zu einer allfälligen Antwort können sich Mütter und Väter mit einer Anekdote aus der Zeit Edwards VII. behelfen, die einer der Titanen der Managementlehre, Peter F. Drucker, gern zum Besten gibt. Demnach sollte ein ranghoher Mitarbeiter der deutschen Botschaft in London 1906 ein Diner organisieren und für den König Prostituierte einladen. Der Mann trat aber von seinem Posten zurück, weil er nicht gegen seine moralischen Überzeugungen handeln wollte. Er meinte, er habe die Vorstellung nicht ausgehalten, morgens beim Rasieren im Spiegel einem Zuhälter ins Gesicht zu blicken.