Jetzt gibt es in Österreich also eine Frau mit Bart, die fast alle zu mögen scheinen. Und Österreich erstrahlt im Ausland in gleißend liberalem Licht. Eine sehr gescheite Kollegin stellte nach dem Song-Contest-Sieg von Conchita Wurst die simple Frage: "Sind wir in Österreich tatsächlich schon so weit und bereit für Conchita Wurst?"
In den Unternehmen dieses Landes hieß es diese Woche dazu reflexartig: "Also wir haben doch kein Problem mit Homosexuellen. Bei uns ist das gar kein Thema." Doch genau deshalb ist es ein Problem. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sechs bis acht Prozent aller Menschen homosexuell orientiert sind. Das sind sie nicht aus Jux und Tollerei, das haben sie sich nicht ausgesucht, sondern ihre Orientierung ist in einem komplexen Zusammenwirken genetischer und hormoneller Faktoren entstanden.
Wenn aber jeder Zwölfte homosexuell ist, stellt sich die Frage, warum das im Arbeitsalltag kein Thema ist. Warum arbeitet jeder Zwölfte oder jede Zwölfte neben uns und wir wissen nichts von deren sexueller Orientierung? Ist doch wirklich Privatsache, heißt es schnell. Falsch. Das ist genauso wenig Privatsache, wie es die sexuelle Orientierung Heterosexueller ist. Denn Heterosexuelle erzählen selbstverständlich am Arbeitsplatz von ihren Wochenenden mit den Partnern, ihren Urlauben mit der Familie und sie bringen ihre Liebsten zu Firmenfesten mit.
Schwule und Lesben, die sich nicht zu outen wagen, haben zwei Möglichkeiten, nichts Privates oder etwas Falsches zu erzählen. Das ist für die Betroffenen fatal, weil die sexuelle Orientierung auch das soziale Leben von Menschen prägt. Ihre Bedürfnisse, Beziehungen und Vorstellungen sind Teil ihrer Persönlichkeit und damit auch Teil des Arbeitsalltags.
Warum aber schweigen Schwule und Lesben gerade im Arbeitsalltag so oft? Sie fürchten Ablehnung und Nachteile im Job. Zu Recht. Anna P. hatte eine glänzende Karriere in einem österreichischen Industrieunternehmen vor sich. Als herauskam, dass sie lesbisch ist, begannen die Konkurrenten im Betrieb dumm über sie zu reden. "Ich wollte mich nicht zusätzlich angreifbar machen", sagt sie. Heute lebt und arbeitet Anna P. in Deutschland, geoutet und erfolgreich.
Ein schwuler Hoteldirektor meinte im SN-Gespräch, "besonders arm sind die lesbischen Frauen dran. Die müssen neben den üblichen beruflichen Nachteilen für Frauen auch noch mit zusätzlichen Karrierehemmnissen rechnen." Die berühmte gläserne Decke wird so schnell zum Panzerglas für Frauen. Passen weiblich und erfolgreich schon selten zusammen, geht "weiblich, erfolgreich, lesbisch" schon gar nicht. Eine erfolgreiche Lesbe sagt, "wenn ich mich oute, muss ich doppelt stark sein, als Frau und als Lesbe. Das will ich nicht."
Tatsächlich sind Lesben im Gegensatz zu Schwulen in der gesellschaftlichen Debatte wenig präsent. Bei prominenten Aushängeschildern fallen einem Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit und der frühere deutsche Außenminister Guido Westerwelle ein. Lesbische Vorzeigefrauen gibt es wenige. Da tat es dieser Tage gut zu lesen, wer neue Chefredakteurin in der deutschen "WirtschaftsWoche" wird: die Medienprofessorin Miriam Meckel. Die derzeitige Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen ist lesbisch. Ihre Lebenspartnerin ist die deutsche Fernsehmoderatorin Anne Will. Die preisgekrönte Publizistin Meckel kennt sich mit Tabus auch auf anderen Ebenen aus. Nach einem schweren Burn-out schrieb sie ein Buch darüber ("Brief an mein Leben"). Miriam Meckel beschreibt darin offen ihre Schwächen, die Bürden aus ihrer Biografie und die falschen Denkmuster. Das hat ihr ebenso wenig geschadet wie die Offenheit darüber, dass sie lesbisch ist.
Männer und Frauen wie Conchita Wurst oder Miriam Meckel, so unterschiedlich sie sind, sind wichtig als Vorbilder. Es geht nicht nur um Akzeptanz, sondern vielmehr um Wertschätzung und Förderung. Das Erste sollte selbstverständlich sein, was es natürlich nicht ist. Aber Wertschätzung und Förderung ermöglichen erst ein Klima, in dem sich auch Schwule, Lesben oder Transsexuelle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung frei entwickeln können. Dafür müssen Arbeitgeber, Schulen und Universitäten sorgen und etwas tun. Damit irgendwann das Bild, das Österreich nach außen hin abgibt, mit dem inneren Bild übereinstimmt.

