Sollen wir Prostitution verbieten? Könnte man sie damit abschaffen? Würde das den Frauen oder den Zuhältern nützen? Oder wem würde das schaden? In Deutschland und Frankreich werden gerade heftige Debatten darüber geführt. "Bist du dafür, dass Männer, die Frauen für Sex bezahlen, künftig bestraft werden oder bist du dagegen?" Die Frage ist schwer zu beantworten, vor allem für eine Feministin. Doch gerade ihre Pflicht ist es, erst einmal die eigenen moralischen Vorstellungen in den Hintergrund zu drängen.
Schon die Vereinfachung der Frage "für oder gegen Prostitution" ist problematisch. Sie zielt darauf ab, den genauen Blick auf das Geschäft mit käuflichem Sex zu verstellen. Und dieser Blick fällt ohnehin schwer. Denn es gibt selten Bereiche in unserer Gesellschaft, über die wir so wenig wissen wie über Prostitution.
Ein Beispiel dafür: Die Gegner der Prostitution argumentieren, 90 Prozent der Sexarbeiterinnen würden dazu gezwungen. Die Befürworter sagen, 90 Prozent der Frauen böten freiwillig und selbstbestimmt ihren Körper an. Damit sind wir bei einem zentralen Punkt. Prostitution wird mit Zwangsarbeit und Menschenhandel gleichgesetzt. Prostitution ist erlaubt, Zwangsarbeit und Menschenhandel nicht.
Das ständige Vermischen von Prostitution und Zwang dramatisiere die Debatte, sagen viele. Eine österreichische Ärztin, die seit Jahren Prostituierte untersucht, vermittelt einen Eindruck davon, was Zwang sein kann, ohne dass zwingend Gesetzeshüter auf den Plan gerufen werden. Die meisten Frauen, die die Ärztin untersucht, kommen aus Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Moldawien. "Sie erzählen von furchtbaren Lebensbedingungen in ihrer Heimat. Hier verdienen sie als Prostituierte in einer Woche mehr als zu Hause in einem Jahr", erzählt die Ärztin. Natürlich wollen diese Frauen nicht mehr zurück in ihre Heimat, sie wollen vor allem nicht zurück ins Elend. Schon stecken wir inmitten einer Armutsdiskussion in Europa.
Die meisten Frauen wurden auch nicht mit vorgehaltener Pistole gezwungen, nach Österreich zu kommen, um hier Sex gegen Geld anzubieten. "Aber viele wollen damit aufhören", erzählt die Ärztin. Nur, sie haben keine Alternativen. Denn wenn ausländische Prostituierte nicht mehr ihre Sexdienste verkaufen wollen, sind sie schnell wieder in ihrer Heimat und damit in bitterer Armut. Auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Prostitution haben sie in Österreich keine Chance. Und Hilfestellung seitens der Ämter ist oft schwierig, wenn die Zuhälter vor den Ordinationen warten. So viel zu Selbstbestimmung und Freiwilligkeit.
Ein Blick auf Zahlen ist oft hilfreich. In Wien gibt es 3258 gemeldete Sexarbeiterinnen, ein Viertel davon ist maximal 23 Jahre alt. Nur 128 dieser 3258 Prostituierten sind Österreicherinnen. Aber 1209 kommen aus Rumänien. Dort lebt laut Europäischer Union jeder Fünfte in Armut. Auch vor diesem Hintergrund muss man die Aussagen jener Prostituierten einordnen, die selbstbewusst erklären, dass sie selbstbestimmt und freiwillig arbeiteten. Ja, es gibt die Studentinnen, die sich ohne Zwang ihr Studium mit Sexarbeit finanzieren und ein finanziell gutes Leben genießen wollen. Ja, es gibt Frauen, die völlig selbstbestimmt lieber Männern den Schwanz massieren, als an der Supermarktkassa zu sitzen. Aber bilden diese Frauen die Mehrheit unter den Prostituierten? Glaubt das jemand?
In Deutschland wird, angestoßen von der Feministin Alice Schwarzer, über ein Prostitutionsverbot diskutiert, in Frankreich gibt es einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, Kunden von Prostituierten strafrechtlich zu belangen. Dort protestieren Schriftsteller, Journalisten und Schauspieler gegen diese "Einschränkung ihrer Freiheit". Sie wehren sich gegen die "Normen für ihre Begierden und Lüste". Auf diese dreiste Idee muss man erst einmal kommen, beim Thema Prostitution die Sorge um die männliche Lust in den Mittelpunkt zu rücken.
Was aber würde bei einem Prostitutionsverbot tatsächlich passieren? Würden die Frauen in die Illegalität gedrängt? Würden sie noch weniger sichtbar und noch mehr den Zuhältern ausgesetzt und noch mehr stigmatisiert? Diese Gefahr ist groß.
Es könnte aber auch passieren, dass es wie in Schweden irgendwann schlichtweg nicht mehr "normal" ist, dass Männer sich Frauen kaufen. Es ist kein Zufall, dass Schweden Freier bestraft, denn dort ist die gleichberechtigte Gesellschaft für Männer und Frauen ein Stückchen weiter als zum Beispiel in Österreich. Und Prostitution hat immer auch viel mit Macht und Unterdrückung zu tun. Der Mann zahlt, die Frau macht die Beine breit.
Keine Frage, auch in einer Welt ohne Geschlechterdiskriminierung gäbe es Prostitution. Aber sicher keinen Flatrate-Sex für 20 Euro, bei dem Männer dürfen, so oft sie wollen.
Die Debatte ist so schwierig wie wichtig. Denn eine demokratische Gesellschaft darf nicht in einem Bereich Zustände tolerieren, die sie woanders nie zulassen würde. Auch die Menschenwürde der Prostituierten ist unantastbar.

