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Der EU-Protokollchef muss penibel und flexibel zugleich sein

Was tun, wenn Jean-Claude Juncker mit seinem Gast wieder einmal zu Fuß gehen will? Dann muss Nicolas De La Grandville reagieren.

Monika Graf
Nicolas De La Grandville.
Nicolas De La Grandville.

Das Frühstück mit Nicolas De La Grandville, dem Protokollchef der EU-Kommission, wird etwas vorverlegt. Denn Benoît Hamon, der sozialistische Präsidentschaftskandidat in Frankreich, hat kurzfristig um einen Termin bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gebeten. Das ging nur vor dessen Treffen mit Japans Premier Shinzo Abe an diesem Vormittag.

Rund 500 hohe Gäste werden pro Jahr am Sitz der EU-Kommission empfangen, oft mehr als zwei pro Arbeitstag. Vor allem Staats- und Regierungschefs, aber auch Außenminister oder Landeshauptleute, die zum Präsidenten kommen oder zu einem der 27 Kommissare.

De La Grandville sorgt mit zwölf Mitarbeitern dafür, dass diese Besuche wie am Schnürchen laufen. Denn für die Frage, wer als Erster begrüßt wird oder wo sitzen darf, gibt es genaue Regeln, festgeschrieben im "Wiener Übereinkommen". "Das ist die Höflichkeits-Grammatik der internationalen Beziehungen", sagt De La Grandville im Bäckerei-Café Pain Quotidien auf Brüssels schicker Einkaufsstraße Avenue Louise. Nicht das Recht des Stärksten gilt, sondern fein ziselierte Kombinationen aus Rang, Funktion, Amtszeit und Staatsexistenz.

Der französische Diplomat hat diese Regeln im kleinen Finger. Was noch wichtiger ist: Er weiß sie flexibel anzuwenden. Der Staatschef isst gern viel? Kein Problem. Koscher, halal und vegetarisch an einem Tisch? Auch kein Problem. "Der Kunde muss zufrieden sein", sagt De La Grandville in fließendem Deutsch, das durch seine Frau eine österreichische Färbung hat, eine Salzburgerin, die er - "ganz Klischee" - auf dem Opernball kennengelernt hat.

Erfahrung mit schwierigen Kunden hat er. Er war stellvertretender Protokollchef im Élysée-Palast, als noch Nicolas Sarkozy Präsident war. Auch Juncker sprengt gern das protokollarische Korsett, geht mit seinem Gast zu Fuß, wenn das Wetter gut ist, und bringt den Zeitplan durcheinander.

De La Grandville ist erst der vierte Protokollchef der Kommission in 60 Jahren. "Es ist gut, viele Situationen gesehen und hoffentlich richtig gelöst zu haben", meint er. "Nein" oder "inakzeptabel" sagt er selten - nur dann, wenn die einfachsten Regeln der Höflichkeit verletzt zu werden drohen. Beispielsweise wenn sein Gegenüber die Küche kontrollieren will oder als man, wie bei einem Besuch in Südamerika, dem Präsidenten der Kommission nicht den gleichen Sessel geben wollte wie dem Staatschef.

Der Karrierediplomat stammt aus einer alten Adelsfamilie. Der Sitz der Familie La Chevardière de La Grandville liegt seit gut 250 Jahren in den französischen Ardennen nahe der belgischen Grenze. Eine Gegend, die spät zu Frankreich kam, wo die Grenzen nie stabil waren und man daheim Deutsch gelernt hat. Seine Vorfahren haben im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft. Als Verdienst Europas sieht De La Grandville, dass nach 500 Jahren, in denen in jeder Generation mindestens ein Familienmitglied als Soldat gestorben ist, sein Bruder und er die ersten seien, die "immer im Frieden gelebt" haben. "Deswegen bin ich auch ein ganz natürlicher Europäer", sagt er, schwingt sich auf sein Fahrrad und saust zum Berlaymont.