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Wo Insiderwissen eine gefragte Qualifikation ist

Stephan Lehne arbeitet für einen der elegantesten Thinktanks in Brüssel. Ex-Außenminister John Kerry ist ein Kollege.

Stephan Lehne.
Stephan Lehne.

Sie heißen Center for European Policy Study, Center for European Reform, Bruegel, Friends of Europe oder Chatham House, und sie sind in Brüssel für mehr oder weniger kluge Analysen zu fast jedem Thema bekannt. Gleich 153 solche Denkfabriken sind im EU-Lobbyingregister eingetragen, wirklich einflussreich sind etwa 20. "Der Wettbewerb ist relativ groß", meint der frühere österreichische EU-Diplomat Stephan Lehne, der für einen der ältesten und elegantesten Thinktanks der Welt tätig ist: die Carnegie Endowment for International Peace, gegründet 1911 von Andrew Carnegie, damals reichster Mann der Welt. Einer seiner Kollegen ist seit Kurzem John Kerry, Ex-Außenminister der USA. "Die beste Organisation, für die ich je gearbeitet habe", sagt Lehne beim SN-Frühstück im Exki, einer Bio-Selbstbedienungskette mit drei Filialen im Herzen des EU-Viertels. Carnegie hat Büros in Moskau, Peking, Delhi, Beirut und eben Brüssel. Lehne ist seit fünf Jahren dabei. Warum er für die Amerikaner interessant war? Vor allem wegen seiner Erfahrung: Der Karrierediplomat war in den 1980er-Jahren für Österreich bei der UNO in New York, hat bei den KSZE-Verhandlungen "den Warschauer Pakt zerfallen sehen" und Friedensverträge am Balkan verhandelt. 2009 holte ihn die damalige Außenministerin Ursula Plassnik in das Außenamt nach Wien zurück.

Für die auf internationale Politik spezialisierte Denkfabrik ist Lehne natürlich auch als EU-Insider wichtig. "Wenn ich über den Schuman-Platz gehe, treffe ich 15 Bekannte, die mir Dinge erzählen, die sie anderen nicht erzählen." Und die er mit der nötigen Diskre tion behandelt. Bei Carnegie geht es, anders als bei anderen Thinktanks, um Analyse und nicht um Lobbying. Wobei der Nutzen von Thinktanks nicht ganz leicht festzumachen sei, meint Lehne: "Vielleicht ist es ein Luxus, den sich eine reiche Gesellschaft leistet." Die Performance von Experten wie ihm wird freilich regelmäßig überprüft: Alle zwei Monate bekommt Lehne eine Aufstellung, wie oft sein Name in Medien zitiert und seine Artikel gelesen wurden. Der eloquente gebürtige Innsbrucker, der in den USA studiert hat, kommt oft vor. Allein sechs Interviews gab er zuletzt, vor allem zur Causa prima in Brüssel, dem Brexit.

Den Austritt der Briten hält Lehne für einen "unheimlichen Rückschlag", auch wenn die Briten immer ein schwieriger Partner gewesen seien. Er erwartet einen "grässlichen Prozess und ein extrem schmerzhaftes Verfahren". Starke Worte für den zurückhaltenden Diplomaten, die möglicherweise mit der Familiengeschichte zu tun haben. Seine Eltern haben sich in England kennengelernt. Er war schon als Zehnjähriger in England, eine seiner Töchter lebt in London. Der Brexit sei nahezu "eine familiäre Katastrophe", sagt Lehne. Die Überlegungen seiner Tochter, sie werde vielleicht rausgeworfen, hatte ihr Freund, ein Brite, mit den Worten kommentiert: "Dann können wir ja heiraten." - "Der schlimmste Heiratsantrag seit Menschengedenken", schmunzelt Lehne.