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Junckers Kabinettschef gilt als graue Eminenz

Martin Selmayr zieht Fäden in der EU-Kommission. Manche halten ihn sogar für den eigentlichen Chef. Das ist natürlich Unsinn.

Monika Graf
Martin Selmayr.
Martin Selmayr.

Ein Frühstück mit Martin Selmayr ist kein alltäglicher Termin in Brüssel. Eher eine Audienz. Folgerichtig trifft man den Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auch nicht in irgendeinem Lokal, sondern im 13. Stock der Kommissionszentrale Berlaymont. Hier hat der wohl mächtigste Fädenzieher der Kommission in einem der Salons aufdecken lassen. Regelmäßig erscheinen Geschichten über den engsten Vertrauten Junckers. Sie heißen "Das Monster vom Berlaymont" oder "Das perfekte Feindbild".

Der gebürtige Bonner, der in Karlsruhe aufgewachsen ist und an der Universität in Passau Jus studiert hat (wo er auch Europarecht unterrichtet), will davon nichts wissen. Macht habe der Präsident, "ich arbeite für ihn".

Wie fast jeden Tag hat er sein erstes Frühstück bereits um sechs Uhr absolviert, nach Hause kommt er kaum je vor Mitternacht. "Diese Jobs sind nicht vergnügungssteuerpflichtig", sagt Selmayr, "aber extrem spannend." Gerade jetzt sei es "ein Privileg, hier zu arbeiten, wenn man sieht, dass man für Flüchtlinge etwas tun kann, für den Zusammenhalt Europas, für den Weltfrieden".

Mit dem Begriff "Monster" hat er kein Pro blem. So nenne ihn der Präsident manchmal "zärtlich", wenn er das "monsterhafte Tagesprogramm" vor sich sieht, das sein Kabinettschef zusammengestellt hat, der auch dafür sorgt, dass Tausende Details und perfekte Dossiers vorbereitet sind.

Selmayr spricht schnell, extrem korrekt. Jede Frage ist ein Stichwort für eine ausführliche Erklärung, warum vieles anders ist, als es dargestellt wird, und warum alles gut wird. Klar gebe es Kritik an der EU-Kommission, "weil zurzeit besonders schwierige Entscheidungen gefällt werden müssen". Natürlich werde es beim Brexit "Testfälle" geben, aber die EU werde zusammenhalten. Jedes noch so große Problem ist lösbar, eigentlich schon fast gelöst, wenn Martin Selmayr zehn Minuten darüber referiert. Wie schon in seiner Zeit als Kabinettschef der Ex-Kommissarin Viviane Reding wird auch jetzt wieder gemutmaßt, er sei der eigentliche Chef.

Das sei falsch, betont Selmayr. "Präsident Juncker regiert, wir helfen ihm dabei." Und er wisse auch, warum Juncker politisch so lang überlebt habe, sagt Selmayr ungewöhnlich leidenschaftlich: "Weil er Europa verkörpert. In all seiner Vielfalt, in all seinen Schwierigkeiten. Juncker ist Europa."

Geprägt wurde Selmayr durch eine Frankreich-Reise mit seinen Großeltern. Sie haben dem 15-Jährigen Verdun gezeigt, die bis an den Horizont reichenden Kreuze für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, und ihm mitgegeben, dass so etwas nie wieder geschehen darf - das sei die Verantwortung seiner Generation. "Das hat seine Wirkung nicht verfehlt", sagt der nun 46-Jährige.

Umgesetzt wird die Erfahrung mit Präzision. Die Apple Watch am Handgelenk dient nicht dazu, Schritte zu zählen, sondern um unauffällig zu checken, ob E-Mails hereinkommen.

Als er ins Amt kam, machte der bekannte Tweet eines Brüssel-Insiders, der unter dem Pseudonym "Berlaymonster" Kurznachrichten absetzt, die Runde. Er zeigte eine fiktive Computertastatur von Martin Selmayr - auf jeder Taste stand "control".