"Einfach nur diese Schwünge fahren, die sich so gut anfühlen, und hoffentlich auch andere damit inspirieren!" Dieser Satz von Mikaela Shiffrin hat sich in meine Erinnerung eingeprägt und er ist so bezeichnend für ihre Art des Skifahrens. Nicht müssen, sondern wollen. Nicht an Ergebnisse und Rekorde denken, sondern den Fokus auf jeden einzelnen Schwung legen - das nimmt viel Druck und schenkt Freude!
Meine erste Begegnung mit Mikaela war in Aspen 2010. Sie hatte dort ihre Weltcuppremiere im Slalom und als Skimarkenkollegin war sie beim jährlichen "Aspen-Dinner" unserer Skifirma Gesprächsthema. Ihre unkomplizierte Art, Ski zu fahren, ihre bereits in diesen jungen Jahren sehr feine Technik, ihre Athletik und vor allem die Unbekümmertheit fielen mir sofort auf.
Es war damals schon klar, dass sie über großes Potenzial verfügt. In weiterer Folge wurde bei ihrer Annäherung an die Weltspitze nichts dem Zufall überlassen. Um zur erfolgreichsten Skirennläuferin aller Zeiten zu werden, braucht es viele Puzzleteile, die am Ende das perfekte große Ganze ergeben. Je mehr Erfolg man hat, desto größer wird der Druck, der auf den Schultern lastet. Der richtige Umgang damit und die mentale Einstellung, um trotz allem, was rundherum stattfindet, seine Leistung abrufen zu können, das sind Eigenschaften, ohne die solche Erfolge auf Dauer nie möglich wären. Ein gutes Team aus Trainern und Betreuern, denen man vollstes Vertrauen schenken kann und die im Zusammenspiel mit der Athletin die richtige Dosierung und Einsatzplanung festlegen, ist maßgebend. Nicht zu vergessen das Material, das sie unter ihren Füßen hat: eine Skifirma, die im Hintergrund alles in Bewegung setzt, um ihre Athleten bestens zu versorgen, und dabei nichts dem Zufall überlässt.
Man darf nie abheben und sich auf seinen Erfolgen ausruhen, sondern muss immer weiterdenken, um nie stehen zu bleiben. Am Ende bedarf es aber auch einer Prise Glück, die einen weitgehend unverletzt bleiben lässt und so die Möglichkeit gibt, sich immer weiterzuentwickeln.
Es war für mich in meiner Zeit als Rennläuferin nicht leicht, gegen Mikaela, die sich damals bereits zu ihrer Höchstform steigerte, zu fahren. Ich war schon etwas gezeichnet von sehr intensiven Jahren, während sie jung, frisch und vor allem unbekümmert am Start stand.
Der Unfalltod ihres Vaters war ein Ereignis, das alles andere in den Schatten stellte und unwichtig machte. Ich hatte immer das Gefühl, dass er ihr größter Fan und gleichzeitig ihr Ruhepol war. Sie hat Zeit gebraucht, um wieder in die Erfolgsspur zurückzufinden, da die Lücke, die ihr Vater hinterlassen hat, riesig ist. Der Sport hat ihr geholfen, diese schwere Zeit einigermaßen zu überwinden.
Natürlich funktioniert auch bei Mikaela nicht immer alles. Die Olympischen Spiele 2022 waren ein sportliches Desaster und auch ihr Umgang damit ließ sie für den Moment in ein immer tieferes Loch purzeln. Sieger sind jedoch jene, die danach wieder gestärkt zurückkommen, und das hat sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dieses Erlebnis lehrte sie viel über den Umgang mit sportlichen Niederlagen, womit sie davor nie in diesem Ausmaß konfrontiert war.
Ihre Beziehung mit Aleksander Aamodt Kilde ist sicher noch ein weiteres Puzzleteil ihrer Erfolgsgeschichte. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie schön und motivierend es ist, einen Partner zu haben, der zu 100 Prozent versteht, was man macht, Leidenschaften und Sorgen mit einem teilt. Auch wenn die gemeinsame Zeit sehr spärlich ist, so ist es doch etwas, worauf man sich immer freut, weil man einfach mal richtig abschalten kann. Loslassen ist wichtig, um wieder mit voller Energie am Start sein zu können.
Ob Mikaela auch am Ende des Nachtslaloms in Flachau wieder ganz oben stehen wird, ist schwer zu sagen. Sie ist die vielseitigste und technisch ausgereifteste Rennläuferin von allen. Die letzten beiden Slaloms am Semmering und in Zagreb waren schwierig und forderten viel Überwindung. Der Hang in Flachau ist zumindest von der Topografie her nicht so schwierig und es gilt, die Wellen gut zu erwischen. Das setzt natürlich Können voraus, ist aber auch ein kleines Glücksspiel. Es wird auf jeden Fall spannend, denn an der Spitze gibt es einige Läuferinnen, die es bis aufs oberste Treppchen schaffen können.