SN.AT / Kolumne / Kollers Klartext / Kollers Klartext

Demokratie in Not: Wenn das Vertrauen der Bürger flöten geht

Die Krise der einstigen Großparteien führt zu einer Krise der Demokratie. Oder verhält es sich umgekehrt?

Andreas Koller

Von einem bemerkenswerten Phänomen ist zu berichten: Je geringer der Zuspruch zu den einst staatstragenden Parteien wird (und der ist bereits sehr gering), desto geringer wird auch das Vertrauen der geschätzten Wählerinnen und Wähler in die demokratischen Institutionen. Und desto prekärer wird der Allgemeinzustand der Demokratie. Über zwei einschlägige Studien, aus denen diese Korrelation recht klar hervorgeht, haben die SN dieser Tage berichtet. Und zwar über eine Untersuchung der Statistik Austria, die besagt, dass sich nur 20 Prozent der Befragten in politischen Fragen „gehört“ fühlen. Es scheint also eine himmelweite Kluft zu bestehen zwischen den politischen Entscheidungseliten und den ihnen anvertrauten Bürgerinnen und Bürgern. Und da war der von einigen heimischen Nichtregierungsorganisationen erstellte Demokratieindex, der anhand einer Reihe von Parametern herausgefunden hat, dass sich der Zustand der heimischen Demokratie zuletzt „deutlich verschlechtert“ habe.

Gleichzeitig deuten die Umfragen einen Absturz von ÖVP und SPÖ in den Meinungsumfragen an. Zugunsten der FPÖ, die unangefochten an der Spitze liegt. Was zum eingangs erwähnten bemerkenswerten Phänomen führt: Je geringer der Zuspruch zu den einstigen Großparteien, desto schlechter geht es der Demokratie.

Oder ist es etwa genau umgekehrt? Dieser Schluss liegt recht nahe. Ursache und Wirkung liegen anders, als es den Anschein hat. In Wahrheit gab es zuerst den Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institutionen und ihre Akteure. Wodurch nicht nur die handelnden Parteien in den Abgrund gerissen wurden, sondern auch die Demokratie als solche einen erheblichen Vertrauensschwund hinnehmen musste.

Warum das so ist, davon kann sich jeder, der oder die in den vergangenen Jahren das politische Geschehen verfolgt hat, ein Bild machen. Allein die Zeitungslektüre der jüngsten Zeit war nicht dazu angetan, Vertrauen zu den staatlichen Institutionen zu wecken: Einstige Politstars und ihre Helfershelfer, die hinter Gitter wanderten. Ein Korruptionsprozess gegen einen führenden ÖVP-Politiker. Der tiefe Fall eines politisch bestens vernetzten Immobilientycoons. Die Hilflosigkeit einer Politik, die einerseits bei den Wohnungsmieten herumschnipselt, andererseits aber kommentarlos zusieht, wie die Gasnetzkosten förmlich durch die Decke gehen. Die Unfähigkeit der Regierung, trotz Steuereinnahmen in Rekordhöhe das ebenfalls in Rekordhöhe befindliche Budgetdefizit und die Inflation zu reduzieren. Die penible, den Medien zu entnehmende Schilderung, wie ein mehrfach rechtskräftig verurteilter Gewalttäter aus Afghanistan seine seit 2018 fällige Abschiebung bis zur vergangenen Woche durch allerlei Kniffe und Tricks vermied und dem Rechtsstaat auf der Nase herumtanzte.

Demokratie funktioniert nicht ohne Demokraten

Und das sind nur die jüngsten Fälle aus der kleinen österreichischen Welt. Dazu kommt die europaweite Ratlosigkeit angesichts der russischen Aggression. Die, global gesehen, unzulängliche Strategie gegen den Klimawandel. Die Krise der europäischen Industrie. Die in fast allen europäischen Staaten tickende demografische Zeitbombe. Das sichere Gefühl der meisten Eltern, dass es ihre Kinder einst möglicherweise nicht mehr so gut haben werden wie sie. Es ist eine Zeit der Unsicherheit und der Frustration, auf die die herkömmlichen Parteien nur unzulänglich reagieren. Daher verlieren sie an Zuspruch. Daher verliert auch die Demokratie an Zuspruch.

Man sieht also: Die Krise der einstigen Staatsparteien und die Unfähigkeit dieser Staatsparteien, wieder an Zuspruch zu gewinnen, ist nicht deren Privatproblem. Sie deutet vielmehr auf ein tiefliegendes Vertrauensproblem hin, das eine zunehmende Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher mit diesem Staat hat. Was logischerweise dazu führt, dass die hier seit 1945 obwaltende Demokratie ein Legitimationsproblem hat.

Und selbst damit ist nur ein Teil des Problems beschrieben: Das Zuwanderungsland Österreich muss sich dringend die nicht unerhebliche Zusatzfrage stellen, wie es eigentlich die vielen aus fernen Kulturen Zugewanderten mit der Demokratie halten, mit der Trennung von Religion und Staat, mit der Gleichheit aller Menschen, mit den sonstigen Errungenschaften der Aufklärung. Die Demokratie muss bekanntlich stets aufs Neue erkämpft werden. Das funktioniert aber nur, wenn genügend Demokraten vorhanden sind.