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Der Trieb zur Selbstzerstörung

Die Politik macht aus Menschen, die sonst mit Vernunft und Augenmaß glänzen, irrationale Wesen. Das muss aber nicht so sein.

Andreas Koller

Ob "allem Anfang", wie Hermann Hesse vermeinte, "ein Zauber" innewohnt, ist zweifelhaft, auch wenn dieser Satz zuletzt anlässlich diverser politischer Neuaufstellungen gern zitiert wurde. Dass aller Politik ein Selbstzerstörungstrieb innewohnt, ist hingegen unstrittig. Und das von der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman (beziehungsweise ihren Übersetzern) "die Torheit der Regierenden" genannte Phänomen ist dahingehend zu ergänzen, dass die Torheit namens Selbstzerstörung nicht auf die Regierenden beschränkt ist, sondern auch andere in der Politik Tätige befällt, beispielsweise die Opposition.

Oder auch die grünen Studentenpolitiker, die jahrelang in Form einer Liste namens GRAS sehr erfolgreich waren. Bei der jüngsten Hochschülerschaftswahl jedoch brachte sich eine neue Gruppierung namens "Grüne Studierende" als Konkurrenzunternehmen zur GRAS in Stellung. Der Wahlkampf wurde nicht, wie man von grünen Studenten füglich erwarten darf, gegen Weltfaschismus, Neoliberalismus und andere böse Dinge geführt, sondern Grün gegen Grün. Mit der Folge, dass die "Grünen Studierenden" zwar nichts gewannen, die GRAS aber eine schwere Niederlage erlitt. Den Vorteil hatten die roten Studenten, die die GRAS überholen konnten. Den Vorteil hatte auch die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft, die trotz eines unappetitlichen Skandals um Nazi- und Behindertenwitze am Wiener Juridicum österreichweit ihre führende Stellung hielt.

Typischer Fall von Selbstzerstörung also, wie man sie nicht nur von der Studentenpolitik kennt. Sondern beispielsweise auch von der Wiener SPÖ. Diese stattete beim jüngsten Landesparteitag Bürgermeister Michael Häupl bei seiner Wiederwahl als Parteichef mit kümmerlichen 77 Prozent aus. Auch die meisten Häupl-Stellvertreter wurden von den Parteitagsdelegierten mit jämmerlichen Wiederwahlergebnissen bedacht. Typischer Fall von Selbstzerstörung einer Partei, deren Flügelkämpfe nun zu eskalieren drohen. Und die nun mit lahmenden Zugpferden in den Nationalratswahlkampf ziehen muss.

Oder die Genossen, die am 1. Mai vergangenen Jahres ihren damaligen Parteichef Werner Faymann gnadenlos von der Rednertribüne gepfiffen haben - zum Schaden ihrer eigenen Bewegung. Oder die ÖVP-Funktionäre, die so lange an Reinhold Mitterlehners Sessel sägten, bis dieser entnervt die Obmannschaft hinschmiss. Weshalb nun der strategisch aufgebaute Kronprinz Sebastian Kurz einen so nicht geplanten Kaltstart hinlegen muss. Oder jene paar grünen Funktionäre, die soeben ihre Parteichefin wegintrigiert haben, um den Preis, dass diese Partei - wenn nicht dem neuen Spitzenduo ein Wunder gelingt - nun in Richtung Einstelligkeit taumelt. Oder die Regierungspolitiker von SPÖ und ÖVP, die einander rituell mit Schmutz bewerfen und billigend in Kauf nehmen, dass dabei auch ihre eigene Regierungspolitik beschmutzt wird: Der Trend zur Selbstzerstörung in der Politik ist evident, und die Analyse könnte mühelos um internationale Beispiele von Donald Trump abwärts erweitert werden.

Offensichtlich schafft es die Politik, aus Menschen, die im normalen Leben mit Vernunft und Augenmaß glänzen, irrationale Wesen zu machen. Irrationale Wesen, die die Selbstbeschädigung als Kollateralschaden willig in Kauf nehmen, wenn sie nur den politischen Gegner - der oft genug in der eigenen Partei sitzt - ebenfalls beschädigen. Die Hoffnung, dass die innenpolitischen Umbruchszeiten, die wir in diesen Tagen erleben, diesbezüglich eine neue Ära einleiten könnten, ist trügerisch. Denn der spektakulärste Obmannwechsel, die schönste Neuwahl, die best überlegte Regierungsbildung wird nichts nützen, solange es den handelnden Personen nicht gelingt, den Teufelskreis der Unvernunft zu durchbrechen.

Und zwar beispielsweise mit der Handlungsanleitung, die der grüne Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch angesichts der jüngsten Wirren in einem Facebook-Eintrag empfahl: "Nicht jeden Konflikt öffentlich auszutragen, einfach auch einmal die Klappe zu halten und daran zu arbeiten, ein Problem tatsächlich zu lösen." Goldene Worte. Und kein Wunder, dass sie nicht von einem Bundes-, sondern von einem Landespolitiker stammen. Welche Parteien auch immer die nächste Koalitionsregierung in Wien bilden werden - sie können sich von der politischen Kultur und der politischen Vernunft, die in den meisten Landesregierungen herrschen, eine Scheibe abschneiden.