Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ ich einen . . . Nein, keinen Arbeitskreis diesmal. Sondern eine Strategiegruppe. Eine solche will der wankende SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann heute seinem Parteivorstand vorschlagen, mit der Einrichtung einer Strategiegruppe will er sich eine Atempause im Abwehrkampf gegen seine Sesselsäger verschaffen. Die Strategiegruppe soll aus Faymann selbst, den neun Landesparteichefs, dem ÖGB-Präsidenten sowie Vertretern der Parteifrauen, der Parteisenioren und der Parteijugend bestehen. Womit auch hinreichend geklärt wäre, warum die Versammlung "Strategie"-Gruppe heißt. Sie entspricht Faymanns Strategie, die gesamte Partei in seinen Abwehrkampf einzubinden und allfälligen Zweiflern an seiner Person damit den Nimbus von Parteischädigern umzuhängen.
Der offizielle Zweck dieser Versammlung ist natürlich ein ganz anderer. Es geht darum, eine Strategie der SPÖ zu folgenden Themen zu erarbeiten: Arbeitswelt, Bildung, Wohnen, Flüchtlings- und Integrationspolitik. Und auch zur "Frage der Koalitionen", wie aus der Umgebung Faymanns verlautet.
Nun könnte man versucht sein, diese Themensammlung mit einem achselzuckenden "no na" abzutun. Denn es handelt sich dabei um die wesentlichen Probleme unserer Zeit, und no na muss sich eine Regierungspartei damit auseinandersetzen. Doch in Wahrheit entbehrt der bieder klingende Aufgabenkatalog nicht der Brisanz. Denn bisher hatte die SPÖ zu den Themen Arbeitswelt, Bildung und Wohnen eine fest gefügte ideologische Haltung, fest gefügt auch in unzähligen Reden, Schriften und Parteitagsbeschlüssen. Sollte all das nun einer Revision unterzogen werden, käme dies einer kleinen Revolution gleich, und am Ende des Strategieprozesses könnte eine ganz andere SPÖ stehen - einerlei, unter welchem Parteivorsitzenden.
Anders ist es mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik, die ebenfalls auf der Themenliste steht. Hier hat die SPÖ keine fest gefügte Meinung, vielmehr mäanderte sie zuletzt zwischen der Willkommenskultur einer Angela Merkel und der Abschottungskultur eines Viktor Orbán. Der Bogen der Parteimeinung spannt sich vom gestrengen Hans Peter Doskozil bis zur "Refugees Welcome"-seligen Parteijugend. Hier auf eine gemeinsame Linie zu kommen ist eine Aufgabe, an der jede Strategiegruppe wohl scheitern muss.
Der brisanteste Punkt verbirgt sich am Schluss der Themenliste, die die Strategiegruppe behandeln soll: die "Frage der Koalitionen". Hier klaffen Parteianspruch und -wirklichkeit kilometerweit auseinander. Einerseits wurde erst beim jüngsten SPÖ-Bundesparteitag 2014 der Beschluss erneuert, eine Koalition mit den Freiheitlichen "auf allen Ebenen" auszuschließen. Andererseits ging der burgenländische LH Hans Niessl wenige Monate später eine solche ein. Es hat ihm in der Partei nicht geschadet: Niessl ist mit 41,9 Landtagswahl-Prozent der erfolgreichste SPÖ-Landesparteichef, und er zählt zu den Schwergewichten in der Bundespartei. Zuletzt hat auch ÖGB-Präsident Erich Foglar eine Öffnung zur FPÖ empfohlen, ganz anders als der mächtige Chef der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter, Wolfgang Katzian, der an der Abgrenzung zur FPÖ festhalten will. Es gibt also nicht nur in der SPÖ diesbezüglichen Klärungsbedarf, sondern auch bei den roten Gewerkschaftern. Wie die Klärung aussehen könnte, deutete der enge Faymann-Vertraute Josef Ostermayer am Sonntag in einem Interview mit "Österreich" an. Es "könnte in die Richtung gehen", dass die verschiedenen Ebenen - also Gemeinden, Länder - autonom entscheiden, "ob eine Zusammenarbeit (mit der FPÖ, Anm.) sinnvoll ist", sagte der Kanzleramtsminister. Die Realität hat diese "Richtung" längst eingeschlagen: Neben der rot-blauen Burgenland-Koalition gibt es entsprechende Kooperationen da und dort auch bereits auf kommunaler Ebene.
Mit der möglichen Aufhebung des FPÖ-Banns entledigt sich die SPÖ eines Alleinstellungsmerkmals, das ihre Politik seit den Tagen Franz Vranitzkys geprägt hat. Dies wird viele schmerzen. Es stellt sich aber die Frage, wie Österreich künftig regiert werden soll, wenn eine Partei, die auf dem Sprung zur Nummer eins ist, dauerhaft von der Regierung ausgeschlossen wird.
Wenn man's positiv sieht, wird Werner Faymann mit der Einsetzung der Strategiegruppe einen wesentlichen Schritt zur Modernisierung der SPÖ leisten. Wenn man's negativ sieht, ist die Einsetzung der Strategiegruppe nichts weiter als der Versuch eines angeschlagenen Parteivorsitzenden, nach dem Motto "zerrede und herrsche" ein paar weitere Monate an der Spitze herauszuschinden.


