Wenn ein Lehrling seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, bedeutet das nicht automatisch, dass er oder sie sofort ins kalte Wasser des Arbeitsmarktes gestoßen wird. Der Gesetzgeber hat eine klare Regelung vorgesehen, die sogenannte Weiterbeschäftigungspflicht, auch Behaltepflicht. Diese soll sicherstellen, dass frisch ausgebildete Fachkräfte nicht unmittelbar nach der Lehrabschlussprüfung ohne Beschäftigung dastehen, sondern einen geordneten Übergang in das Berufsleben erfahren. Nach der Lehrzeit sind Lehrbetriebe verpflichtet, ihre ehemaligen Lehrlinge für eine bestimmte Dauer im erlernten Beruf weiterzubeschäftigen. Gesetzlich beträgt diese Frist im Regelfall drei Monate.
Chance, Routine zu entwickeln, sich am Arbeitsplatz zu bewähren
Damit soll gewährleistet werden, dass der junge Berufseinsteiger eine erste Phase praktischer Tätigkeit ohne Ausbildungsstatus durchläuft und gleichzeitig die Chance erhält, Routine zu entwickeln, sich am Arbeitsplatz zu bewähren und gegebenenfalls eine längerfristige Anstellung im Betrieb zu sichern. Die Dauer dieser Behaltepflicht ist nicht in allen Branchen identisch. Kollektivverträge können nämlich abweichende, meist längere Fristen vorsehen. In manchen Bereichen ist daher eine Weiterbeschäftigung von bis zu sechs Monaten vorgeschrieben (z. B. Metallindustrie). Für die ehemaligen Lehrlinge bedeutet es nicht nur Stabilität, sondern es ist auch ein wichtiges Signal der Wertschätzung ihrer Ausbildung und ihres Engagements.
In dieser Zeit der Behaltepflicht erhalten die ausgelernten Lehrlinge nicht mehr das bisherige Lehrlingseinkommen, sondern das kollektivvertraglich vorgesehene Gehalt für ausgebildete Fachkräfte ihrer Branche.
Sicherheit für die Zukunft
Damit vollzieht sich auch finanziell der Schritt vom Auszubildenden zum Arbeitnehmer mit regulärer Entlohnung. Die Höhe des Einkommens hängt also vom jeweiligen Kollektivvertrag ab, variiert nach Beruf und Branche und kann sich stark unterscheiden. Gerade für junge Menschen ist dieser Sprung von großer Bedeutung, weil er nicht nur wirtschaftliche Eigenständigkeit erleichtert, sondern auch eine gewisse Sicherheit für die Zukunft bietet.
Die Behaltepflicht erfüllt damit eine doppelte Funktion: Einerseits schützt sie junge Arbeitnehmer vor einem abrupten Ende der Lehrzeit ohne berufliche Perspektive, andererseits sichert sie den Betrieben motivierte Nachwuchskräfte, die nach Jahren der Ausbildung bereits mit den internen Abläufen vertraut sind. Es handelt sich also um eine Übergangsregelung, die beiden Seiten zugutekommt.
Auf einen Blick: Ausgelernte Lehrlinge müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung mindestens drei Monate im erlernten Beruf weiterbeschäftigt werden, je nach Kollektivvertrag auch bis zu sechs Monate. Während dieser Zeit erhalten sie die reguläre Facharbeiterentlohnung. Die Behaltepflicht dient sowohl dem Schutz der jungen Berufseinsteiger als auch der Stärkung der Betriebe, indem sie den Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben erleichtert und Kontinuität sicherstellt.
Birgit Kronberger ist Arbeitsrechtsexpertin (Geschäftsführerin www.vorlagenportal.at).