SN.AT / Kolumne / Notizen im Krieg / Notizen im Krieg

Die richtige Behandlung und ein bisschen Menschlichkeit

Ich fühle mich immer ein bisschen nutzlos, wenn ich krank bin und nicht arbeiten kann. Diesmal fühlte ich mich beinahe hilflos.

Daryna Melashenko

Wir haben Angst vor dem Atomkrieg. Vor Raketen kann man in einen Keller fliehen. Vor Menschen mit Waffen kann man sich in einem Haus verstecken. Wie flieht man vor Strahlung? Was tun, wenn selbst das Land, wo man wohnt, der Grund, auf dem wir stehen, von radioaktivem Stoff vollgesaugt ist? Wie fühlt es sich an, die Luft mit Atomstaub ein- und auszuatmen? Tut es weh, wenn man an der Strahlenkrankheit leidet? Ich möchte, dass diese Fragen für mich auf immer unbeantwortet bleiben.

In meiner kleinen Heimatstadt neben Kyjiw gibt es immer noch kein Jod in den Apotheken. Ich gehe hier in die Apotheke und kaufe Pillen und Tinktur. Die Pillen wurden in Polen hergestellt und sind bescheuert teuer. Ich kaufe die letzten vier Packungen. Zwei davon schicke ich meinen Eltern.

Kurz danach muss ich wieder in die Apotheke. Meine Niere tut mir weh. Das Mittel, das ich kaufe, hilft mir nicht wirklich. "Mit den Nieren darf man sich nicht spielen", warnt mich meine Freundin aus Salzburg. "Bissi krank kann viel krank werden", sagt mir ein anderer Freund. Das heißt, ich muss zum Arzt. Wie funktioniert das nun?

Mein Freund empfiehlt mir einen Arzt hier in Lemberg. Er arbeitet in einem staatlichen Krankenhaus. Gute Nachrichten: Ich könnte kostenlos behandelt werden. Aber es kann zu bürokratischen Hindernissen kommen. Brauche ich eine Anschrift vor Ort? Einen Vertriebenenausweis? Eine Einweisung? Meine Familienärztin kann mir eine digitale Einweisung geben. Ich bitte sie darum und erhalte in wenigen Stunden ein Papierchen per Viber. Darauf steht "Termin beim Nephrologen". Der empfohlene Arzt ist ein Urologe. Alles scheint schiefzugehen.

An der Rezeption im Krankenhaus kommt
es sofort zu Missverständnissen. Die Krankenschwester kann mich im Digitalsystem nicht finden. Ich sage, dass ich aus dem Gebiet Kyjiw hierher geflohen bin. Sie versteht das. Es gibt eine kurze Klärung, und ich bekomme schnell einen Termin.

Der Arzt ist ganz anders, als ich mir vorgestellt habe. Er ist ein ruhiger, ausgeglichener Mann. Ich gebe ihm meine "falsche" Einweisung. Er sagt, dass sie leider nicht passt, das solle aber kein Problem sein. Nach ein paar Fragen zu meinem Zustand fragt er auch: "Wohnen Sie hier in der Nähe?" Ich sage "Ja". "Haben Sie eine gute Wohnung hier, alles in Ordnung?"

Einmal habe ich gelesen, dass Nierenkrankheiten aus psychosomatischer Perspektive mit Stress, Angst und Richtungslosigkeit verbunden sind. Kranksein ist an sich ein Riesenstress. Ich fühle mich immer ein bisschen nutzlos, wenn ich krank bin und nicht arbeiten kann. Diesmal fühlte ich mich beinahe hilflos. Gegen Stress und Krankheit helfen jedoch zwei Sachen gut: die zeitnahe richtige Behandlung und ein bisschen Menschlichkeit. Vielleicht ist Menschlichkeit auch das beste Mittel gegen Atomkriege.

Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.