Kürzlich schlug ich meinem Freund vor, die Pferderennbahn in Lemberg zu besuchen. Als ich mir noch als Studentin einen ersten Job gesucht hatte, betrieb ich Pferdesport und habe mich sogar als Tiertrainerin versucht.
Pferde sind faszinierende Wesen, gute Freunde und geschickte Psychologen. Sie lesen dem Menschen seine Natur innerhalb weniger Minuten ab. Mir bereitet es immense Freude, einfach neben einem Pferd zu stehen oder das Tier zu beobachten.
Nach einer knappen Stunde Fahrt sind wir in einer Dorfgegend am Stadtrand. Der Weg ist steinig und holprig. Wir fahren langsam an alten, vernachlässigten Gebäuden und leeren Grundstücken vorbei. Hier und dort merkt man kleine Anzeichen der Pflege. Alles schreit nach Renovierung. Ganz offensichtlich gab es auch früher kein Geld dafür, ganz zu schweigen von heute.
Neben dem Stall trifft uns eine kräftige, kurzhaarige Frau in dunkelblauer Jacke. Das ist meine Ansprechpartnerin Natalka. Der Pferdewärter hat sonntags frei. Natalka lädt uns hinein. Drinnen ist alles sauber und gut gepflegt.
Mein Freund und ich kommen zu einzelnen Boxen. Wir haben ein großes Sackerl mit Karotten- und Apfelstücken mitgebracht. Mein Freund ist ganz begeistert von unserem Besuch.
Auch unter Pferden gibt es Flüchtlinge. Zwei oder drei Pferde im Stall sind ebenso wie ich nach Westen geflohen. Später werden sie weiter nach Europa evakuiert. Etwas fällt mir auf. Die hiesigen Pferde stehen mit dem Kopf oder mit der Seite zur Boxentür. Die "Flüchtlinge" mit dem Rücken. Sie sind auch ziemlich schüchtern.
"Wir haben keine Angst vor Sirenen", sagt Natalka. "Es gibt weiterhin Übungen. Wenn im Laufe einer Übung die Sirene heult, muss der oder die Reitende entscheiden, ob wir das Training beenden oder nicht. Die Pferde müssen sowieso in den Stall. Für sie gibt es keine Keller."
Wir fahren zurück in die Stadt. Mein Freund sagt: "Kennst du die Geschichte mit Putin und den Pferden?" Ich bitte ihn, zu erzählen. "Als er zum ersten Mal Präsident geworden war, ging es ihm darum, sich der Aristokratie näher zu fühlen. Eben weil er im Prinzip ein durchschnittlicher, unauffälliger Beamter war. Also begann er mit Reitunterricht. Nur war er kein erfolgreicher Reiter. Pferde warfen ihn oft aus dem Sattel. Vielleicht, weil er nicht mit Geschick, sondern mit Zwang reiten möchte. Vielleicht einfach aus Instinkt."
Ich schaue mir einige Videos an, wo Putin Pferde reitet. Dass er kein guter Reiter ist, merkt man an seiner Körperhaltung und am Verhalten der Tiere. Selbst auf berühmten Videos aus einem Sibirien-Urlaub, wo er Macho für die Kameras spielt, klammert er sich fest an die Zügel. Im Gegensatz zum russischen Machtwesen funktionieren Angst und Zwang beim Reiten nicht.
Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.

