Nicht jede russische Rakete kann von ukrainischer Luftabwehr eliminiert werden. Am 14. Jänner traf Russland ein Hochhaus in Dnipro.
Schreckliche Ereignisse machen die Seele taub. Nach dem Butscha-Massaker und dem Luftangriff auf das Theater in Mariupol haben viele von uns keine Tränen mehr. Meine Augen bleiben trocken, wenn ich die Nachrichten lese. Ich erfahre täglich von Trauer und Tod.
Seit das Hochhaus getroffen wurde, verfolge ich die Updates des Rettungsdiensts in Dnipro. Von "10 verletzt, 2 davon Kinder" klettern die Zahlen hoch auf "27 verletzt, 6 davon Kinder,
2 gestorben", wenige Tage später sind es "79 verletzt, 44 gestorben".
Unter den Geretteten: die 23-jährige Witwe eines Soldaten. Am Morgen noch lachte sie mit ihren Eltern, jetzt sind sie tot. Eine stumme Frau, die nicht einmal Hilfe schreien konnte. Ihr Mann und ihr einjähriger Sohn leben nicht mehr. Unter den Gestorbenen: der populäre Boxtrainer Mykhailo Korenovskyi. Die gelbe Küche ist seine. Auf den vier Stühlen saßen sonst immer er, seine Frau und seine zwei Töchter. An diesem Tag war er alleine in der Wohnung.
Ebenfalls tot: eine begabte 15-jährige Schülerin, ein Student der polytechnischen Universität. Eine Mutter mit zwei Töchtern im Alter von 3 und 13 Jahren. Ihrer wird gedacht. Fast täglich finden russische Raketen ihre neuen Opfer. Zwei ältere Frauen direkt auf der Straße in Bachmut. Zwei Menschen in ihren Wohnungen in einer Vorstadt von Kiew. Nicht nur ihre Leben sind vernichtet, auch ihre Geschichten bleiben unerzählt. Wir wissen nichts von ihnen, sehen keine Gesichter, die sich hinter den Zahlen verstecken. Wer waren sie? Hatten sie eine Familie? Wer trauert um sie, wer begräbt sie? Jede weitere Tragödie schneidet sich tiefer in die Seele. Die Massaker zeigen deutlich: Russland tötet nicht nur unsere Krieger oder Zivilisten. Es versagt uns das Recht auf das Leben, egal wer und wie alt wir sind. Und das ist das Schrecklichste.
Daryna Melashenko ist 27 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg geflohen.