In der Stadt Butscha in der Nähe von Kyjiw wurden Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher erschossen.
Das erfahre ich von meiner Mama. Sie schickt mir ein Facebook-Posting von der Direktorin eines Kindergartens in Butscha. Diese Geschichte erzähle ich nach.
Der Kindergarten wurde vor ungefähr einem Jahr geschlossen. Wie so oft blieb die Direktorin weiterhin mit vielen Familien und Mitarbeitern im Kontakt. Die meisten konnten rechtzeitig in den ersten Kriegstagen fliehen. Einige Menschen, vor allem die, die sich um Haustiere und betagte Eltern kümmerten, gerieten Anfang März unter russische Besatzung. Darunter auch ein Erzieher, ein Bekannter der Kindergartendirektorin.
"Sie schossen uns in den Rücken"
"Die ersten 16 Tage konnten wir durchhalten. Ich blieb in Butscha. Dann gingen sie direkt in unsere Häuser. Als unsere Nachbarn erschossen wurden, liefen wir endlich davon: Die Lage wurde ganz schlimm. Sie schossen uns in den Rücken. Von anderen Menschen, die hinter uns liefen, war jemand verwundet und noch jemand erschossen.
Am 11. März erschossen sie Lehrer und Erzieher. 'Was sind Sie von Beruf?' Nach der Antwort 'Lehrer' oder 'Erzieher' folgte ein Schuss. Auch meine Bekannte im Alter von 75 Jahren, die ihr ganzes Leben lang im Kindergarten arbeitete, wurde erschossen."
Die genaue Opferzahl ist noch unklar
Seit Samstag ist die Stadt Butscha befreit. Sie wurde von den ukrainischen Streitkräften wieder eingenommen. Es gibt immer mehr Nachrichten, Fotos und Videos. Meiner Mama habe ich verboten, die Nachrichten über "Geschenke der russischen Gäste" zu lesen, die sie in besetzten Städten reichlich hinterließen.
Wenn ich diese Berichte lese und mir die grausamen Fotos von Butscha anschaue, schleicht eine tote Stille in mein Herz hinein. Auf den Straßen fanden die ukrainischen Soldaten viele Leichen von Zivilisten. Von Frauen, Seniorinnen und Senioren, Jugendlichen. Einigen von ihnen wurden vor der Erschießung die Hände hinter dem Rücken gebunden. Andere sind beim Laufen oder Radfahren niedergeschossen worden.
Die genaue Opferzahl ist noch unklar. Der Bürgermeister von Butscha schreibt, dass mehr als 280 Menschen in Massengräbern begraben wurden. Vielleicht war darunter auch die 75-jährige Erzieherin.
Seit Anfang der russischen Invasion in die Ukraine wurden 566 Bildungseinrichtungen bombardiert oder beschossen, 73 davon sind vollständig ruiniert. Darüber berichtete der ukrainische Bildungsminister Serhij Schkarlet vorletzte Woche.
Kinder müssen zunächst beruhigt werden
Meine Mama, Lehrerin für ukrainische Sprache und Literatur, unterrichtet jetzt online. Sie gibt sich Mühe, ihren Schülern und Schülerinnen zu erklären, was in unserem Land los ist. Auch meine Schwägerin ist Lehrerin. Sie unterrichtet Computerwissenschaft und verbringt die ersten zehn Minuten des Unterrichts in der Regel damit, die gestressten Kinder zu beruhigen. Ihnen beiden empfehle ich ein psychologisches Spiel aus einem Text, den ich mal übersetzt habe.
In diesem Spiel soll man sich einen sicheren Ort vorstellen. Eine kleine friedliche Oase, das eigene Zimmer im Elternhaus, eine schöne tropische Insel. Es können aber auch Orte aus der Vergangenheit sein. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Mir persönlich würden jetzt mindestens drei einfallen: das Büro meiner Mama in der Schule, ein leerer Hörsaal im dritten Stock meines Instituts und eine Bank im Universitätspark.
Ein gefährlicher Weg in Kriegszeiten
Einen Lehrer habe ich auch gestern in Lemberg kennengelernt. Er ist wie ich aus der Region Kyjiw geflohen. Hier hat er sofort angefangen, an zwei Projekten zu arbeiten. Er unterstützt Kinder aus Waisenhäusern und bringt Jugendlichen und Studenten 3D-Modellierung bei, um Tourniquets für Krankenhäuser zu erstellen. Das sind Binden, mit denen sich verletzte Körperteile abbinden lassen.
Wer Lehrer oder Lehrerin wird, beschreitet einen Weg der Verantwortung. In Kriegszeiten ist es auch ein gefährlicher Weg. Die Lehrenden treiben die Menschlichkeit voran. Sie sind Werteträger und manchmal auch Seelenschützer. Diesen Eintrag widme ich mit Dank einer Lehrerin aus Salzburg, die mich 2020 an einem Regentag neben der Haltestelle "Justizgebäude" unter den Schirm nahm.
Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.

