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"Auf meinem Handy läuft noch immer Tinder"

Daryna Melashenko lebt in einem Vorort von Kyjiw. Sie hat sich trotz aller Gefahren entschieden zu bleiben. Für die SN schreibt sie ein Tagebuch aus dem Krieg.

Daryna Melashenko

Ich lese viele Posts auf Facebook. Viele Menschen suchen nach Ausreisemöglichkeiten. Andere schreiben wütend: "Wer jetzt ausreist, den heißen wir nach dem Sieg nicht mehr willkommen."

Facebook und Telegram werden langsam mit Fotos von ruinierten Gebäuden und toten Menschen gefüllt. Und dann, viel schneller, mit Publikationen von meinen Freunden und Bekannten, die sich an ihre russischen Familienmitglieder, Freunde und Kolleginnen wenden. Der Grad an Hass ist unterschiedlich.

Auch unsere Verwandten aus Russland sind sicher, dass Putin alles richtig macht. Sie sagen: "Da habt ihr's! Euer Spiel ist zu weit gegangen." Meine Mutter ist nach einem Telefongespräch mit ihnen den Tränen nahe. Ich muss an den Tag denken, als die russische Verwandtschaft bei uns zu Gast war. Alles hat ihnen damals sehr gut gefallen - die Stadt, unser Haus, das ukrainische Essen. Ich denke auch an einen der kleinen Neffen zweiten Grades, einen lieben blonden Buben. Als seine Eltern in der Stadt waren, kam er zu mir und sagte, dass er Hunger habe. Ich bin keine hervorragende Köchin. Ich konnte nur sehr einfache Fleischlaiberl machen. Wenn ich an seine Familie denke, dann höre ich ihn sagen: "Die Fleischlaiberl sind aber gut geworden." Aus welchem Grund auch immer.

Mein bester Freund aus Kyjiw will der Territorialverteidigung beitreten. Er ist noch am Überlegen, weil er schwache Augen hat. Das wäre auch eine Option für mich. Aber ich habe keine militärische Ausbildung und bin nicht besonders sportlich.
Wie kann ich am besten helfen? Tu, was du kannst, mit dem, was du hast, wo immer du bist ... Ich finde eine Gruppe freiwilliger Übersetzer, die Nachrichten ins Englische übersetzen für einen Kanal auf Telegram. Das hilft mir, konzentriert zu bleiben.

Wir können in der Stadt keine Milch finden und keine Eier. Fast alle Supermarktregale sind leer. Wir haben Angst, dass es zu Problemen mit der Wasserversorgung kommt. Alle Flaschen und alle Eimer füllen wir mit Wasser. Wir haben auch zwei riesige Kanister Wasser hinter dem Haus. Wir haben Glück.

Es gibt viele Nachrichten über Sanktionen. Sie machen mich froh und traurig zugleich. Froh, weil etwas gemacht wird, weil es eine Unterstützung gibt. Traurig, weil diese ersten Sanktionen offensichtlich nicht sehr wirksam sind. Überhaupt nicht wirksam sind sie jetzt für die sieben Zivilisten, die in Charkiw ums Leben gekommen sind. In Kyjiw sind drei Menschen durch Raketentrümmer verletzt worden. Auch ihre Wunden werden durch die Sanktionen nicht geheilt. Deutschland blockiert die komplette Sperre von Swift in Russland. Ich bin zu müde, um an wirtschaftliche Hintergründe dieser Entscheidungen zu denken.

Auf meinem Handy läuft immer noch Tinder, ein kleines Stück des normalen Lebens. Ich bekomme einige Benachrichtigungen. In meine Bio schreibe ich: "My biggest fantasy is to see Putin suck". Das ist nicht viel und eher ein Scherz, aber merkwürdigerweise hilft das.