SN.AT / Kolumne / Notizen im Krieg / Notizen im Krieg

"Zwei Zimmer, nur an gepflegte Frau unter 30"

Selbst wenn ich keine Nachrichten lese, erreichen mich Botschaften, die mich schaudern lassen. Etwa beim Blick in die Immobilienanzeigen.

Daryna Melashenko

Vielleicht habe ich mir zu viele Kriegsbilder angeschaut. Sie tauchen vor meinem inneren Auge dauernd auf. Das blutgetränkte Plüschtier auf dem Bahnhof in Kramatorsk. Die schmutzige Hand mit rot lackierten Nägeln einer toten Frau aus Butscha. Die verzweifelten Eltern über dem Körper ihres einjährigen Kindes in Mariupol. Zertrümmerte Gebäude. Brennende Autos.

Meine Freundin sagt: "Ich habe auf Doomscrolling verzichtet." Als Doomscrolling bezeichnet man den exzessiven Konsum der schlechten Nachrichten. Wir brauchen aktuelle Informationen, um ruhig zu bleiben. Gleichzeitig sind Nachrichten emotional gesehen ein zweischneidiges Schwert.

Auch wenn ich keine Nachrichten und nur zufällige Chats auf Telegram lese, gibt es viele beunruhigende Sachen. Zum Beispiel schaue ich oft in den Vermieter-Chat hinein, wo ich mir vor dem Krieg eine Wohnung in Kyjiw suchte. Die Vermieter haben ganz unterschiedliche Perspektiven darauf, wie das Kriegsrecht den Preis beeinflussen soll. Derzeit bieten viele Besitzer ihre Wohnungen kostenlos an, besonders wenn es um Flüchtlinge geht. Aber nicht in diesem Chat. Hier gilt: Geschäft heißt Geschäft. Wer mit Immobilienvermietung sein Leben verdient, muss sich auch ernähren können.

Manche Nachrichten ekeln mich an. "Werde ein hübsches Mädel zu mir nehmen, wohne allein, bin 37." "2 Zimmer im Stadtzentrum, nur gepflegte Frauen unter 30, Mietpreis wird privat vereinbart."

Die Menschenrechtsbeauftragte im ukrainischen Parlament berichtete über dokumentierte Vergewaltigungen in Butscha. In einem Keller hatten die russischen Soldaten 25 Frauen vergewaltigt. Einige davon waren minderjährig. Neun dieser Frauen sind schwanger. "Was würdest du denn mit so einer Schwangerschaft anfangen?", frage ich mich selbst. Gute Frage. Ich würde wahrscheinlich nicht nur den Fötus, sondern meinen gesamten Körper loswerden wollen.

Der ukrainische Sicherheitsdienst veröffentlicht mitgehörte Telefongespräche der russischen Besatzer mit ihren Verwandten. Im letzten Gespräch, das ich mir angehört habe, erlaubt die Frau ihrem Geliebten "ukrainische Weiber" zu missbrauchen. "Ist das dein Ernst? Darf ich?" - "Ja, du darfst es. Aber nur mit Verhütung". Danach kichert sie.

Die Frauenkörper werden nicht nur zu Kriegsopfern, sondern zur Waffe. Ein Projekt unter dem Namen "Teronlyfans" (Wortspiel: OnlyFans/Territorialverteidigung) sammelt Spenden für ukrainische Streitkräfte. Die Spender überweisen Geld an die Armee und erhalten dafür erotische Bilder. Die Projektbegründerin behauptet, dass in 20 Tagen ungefähr 5,5 Mio Hrywnas (etwa 170.000 Euro) gespendet wurden.

Meine Freundin Alina ist in der Territorialverteidigung. Sie schläft problemlos nur wenige Stunden am Tag und schreibt fast täglich über ihre zusätzlichen Koordinierungstätigkeiten. Eine andere Freundin von mir näht Matten und anderes Zeug für die Armee. Eine Frau, die genauso wie ich aus Kyjiw nach Lemberg geflohen ist, organisiert hier Spendenprojekte und koordiniert freiwillige Hilfeaktionen. Noch eine Freundin aus Lemberg unterstützt Therapieprojekte für Flüchtlinge.

Den Literaturnobelpreis 2015 bekam die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexyjewitsch. Eines ihrer Bücher trägt den Titel: "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht". Der Satz legt nahe, dass Frauen im Krieg nicht hingehören. Unser Krieg ist ein anderer. Es gibt Opfer unter uns, aber wir sind an sich keine Opfer. Die Ukraine wird zurzeit oft als eine Kriegerin gezeichnet, die mutig zurückschlägt. Jeder sechste Mensch in ukrainischen Streitkräften hat ein weibliches Gesicht.

Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg geflohen.