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Brillen, Folter, Superkanzler

Also die Franzosen haben Probleme . . .Oder: Was unsere Politik aus China importiert.

Alexander Purger

Es gibt Politiker, die nichts richtig machen können. Einer dieser armen Tröpfe ist der französische Staatspräsident François Hollande. Erst zerrissen sich die Franzosen die Mäuler über seine schief sitzenden Krawatten. Dann war es nicht recht, dass er mit einem Roller zu seiner Freundin fuhr. Und jetzt wird plötzlich eine Staatsaffäre daraus gemacht, dass er eine dänische Brillenfassung trägt.

Die französische Optikindustrie tobt, einige Hersteller schickten aus Protest Gratisbrillen in den Élysée-Palast, und Hollande versuchte zu retten, was zu retten ist, indem er bei der heiligen Johanna von Orleans schwor, dass das Glas in seiner Brillenfassung zu hundert Prozent französisch ist. Vive la France!

Aber hallo? Was sollen wir in Österreich da sagen? Unsere Politiker importieren zwar keine Sehbehelfe, dafür gleich ihre ganze Politik aus dem Ausland, und zwar aus Fernost. Sie wissen: Chinesische Wasserfolter. Der Delinquent sitzt gefesselt in einem Stuhl und von oben fällt alle paar Sekunden ein Tropfen kalten Wassers auf seinen Scheitel. Das soll den Menschen in den Wahnsinn treiben. Unsere Politiker benutzen anstelle von Wasser das Wort "Steuerreform". Gefesselt sitzen wir da und in regelmäßigen Abständen hören wir: Steuerreform, Steuerreform, Steuerreform . . .

Immer mehr Österreicher ringen angesichts dieser unmenschlichen Folterpraktik um ihre Fassung, womit wir wieder bei Hollandes Brille wären. Wissen die Franzosen eigentlich, dass die Brille an sich schon etwas ganz und gar Unfranzösisches ist? Sie wurde nämlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Italien erfunden, genauer gesagt in Pisa.

Historiker sehen darin eine der revolutionärsten Erfindungen der Geschichte, da die Brille das Arbeitsleben von Handwerkern und Wissenschaftern um Jahrzehnte verlängerte und so ganz entscheidend zum wirtschaftlichen und wissensmäßigen Aufschwung Europas zu Beginn der Neuzeit beitrug. Anders gesagt: Ohne Brille muss man seinen Beruf früher an den Nagel hängen.

So gesehen erscheint das Bemühen der Franzosen, ihrem Staatspräsidenten die Brille wegzunehmen, in einem ganz neuen Licht. Und so gesehen ist es auch einigermaßen beruhigend, dass in der aktuellen österreichischen Regierung auffällig wenige Brillenträger sitzen.

Wobei: Ein Genie, dem man ein ewiges, bebrilltes Arbeitsleben wünschen muss, haben wir offenbar in der Regierung sitzen. Denn in der Debatte über ein Weisungsrecht für den Regierungschef quittierte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder gestern den Einwand, ob damit nicht ein "Superkanzler" geschaffen würde, mit dem Satz: "Den haben wir mit Werner Faymann bereits." Kein Scherz.