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Der skurrile Juli 1914

Alexander Purger

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs langte im Kriegsministerium in Wien ein brisantes Schriftstück ein. Der österreichisch-ungarische Militärbevollmächtigte in Konstantinopel, Generalmajor Joseph Pomiankowski, unterbreitete darin den Vorschlag, das vor Ort befindliche k. u. k. Handelsschiff "Arimatea" mit Zement anzufüllen und im Suezkanal zu versenken. Die Idee war bestechend. Mit verschwindend geringem Aufwand hätte man die Hauptschlagader des britischen Weltreichs unterbrechen können.

Doch aus der Sache wurde nichts. Das Armeeoberkommando in Wien verwickelte Pomiankowski in einen endlosen Aktenverkehr über die günstigste Einkaufsmöglichkeit des Zements, sodass sich der Plan letztlich zerschlug. Typisch Bürokratie.

Wobei ein Zahlenvergleich interessant ist: Kurz vor Kriegsausbruch 1914 zählte die
k. u. k. Armee 450.000 Mann und wurde von einem Ministerium mit 600 Bediensteten geleitet. Heute verfügt das österreichische Bundesheer über ein Zehntel der damaligen Mannstärke, aber das Ministerium ist doppelt so groß. Typisch Bürokratie.

Es gibt noch eine zweite schrullige Geschichte aus der ansonsten so bitteren Zeit des Kriegsbeginns: Während der Julikrise 1914, als der Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien bereits in der Luft lag, aber noch nicht erklärt war, wollte es der Zufall, dass der serbische Generalstabschef Radomir Putnik gerade zur Kur im steirischen
Bad Gleichenberg weilte. Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen wollte er eilig nach Serbien zurückkehren, wurde davor aber von den österreichisch-ungarischen Behörden verhaftet. Sie wollten damit verhindern, dass Putnik quer durch das österreichische Aufmarschgebiet reiste und militärische Geheimnisse ausspionierte.

Außerdem rechneten sich die k. u. k. Behörden aus, mit der Gefangennahme des Generalstabschefs die serbischen Kriegsvorbereitungen empfindlich stören zu können. Tatsächlich soll Putnik den einzigen Schlüssel zu dem Tresor bei sich getragen haben, in dem in Belgrad die Aufmarschpläne der serbischen Armee verwahrt waren, weshalb man dort schon haareraufend und händeringend auf ihn wartete.

Als Kaiser Franz Joseph jedoch von der Verhaftung Putniks erfuhr, befahl er dessen sofortige Freilassung und erteilte den Verantwortlichen eine scharfe Rüge: Schließlich habe der Krieg noch nicht begonnen, also könne man doch einen Gast aus dem Ausland nicht so behandeln!

Skurriles spielte sich in diesen Tagen auch in Serbien ab. Als der österreichische Gesandte Giesl in Belgrad das berühmt-berüchtigte Ultimatum an den serbischen Premier Nikola Pašić überreichen wollte, stellte sich heraus, dass sich dieser gerade auf einer Wahlkampfreise im Süden des Landes befand. Nur der Finanzminister war anwesend, weigerte sich aber, das an den Regierungschef adressierte Schriftstück aus Wien entgegenzunehmen.

Giesl legte das Papier achselzuckend auf einen Tisch und ging. Nun war der serbische Finanzminister doch neugierig, was in der diplomatischen Note stand und öffnete sie. Aufgeschreckt durch den Inhalt telegrafierte er an Pašić, er müsse unbedingt sofort nach Belgrad zurückkehren.

Doch der Premier dachte nicht daran. Im Gegenteil. Er versuchte, sich angesichts der explosiven Lage aus dem Staub zu machen und setzte sich in einen Zug nach Griechenland, um dort unterzutauchen und nicht die schwere Verantwortung für das Kommende übernehmen zu müssen. Erst ein Telegramm des serbischen Prinzregenten bewog ihn, knapp vor der griechischen Grenze doch umzudrehen und in die Hauptstadt Belgrad zurückzukehren.

Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Alle diese skurrilen Vorgänge im Juli 1914 bestätigen aber die Richtigkeit des bekannten Satzes: Die große Politik ist genau so, wie der kleine Maxi sie sich vorstellt.