Gut, diese Europawahl in Österreich war jetzt nicht die wichtigste Wahl aller Zeiten. Und die Wahlbeteiligung war derart niedrig, dass das Ergebnis nur bedingt Rückschlüsse auf die wahre politische Stimmung in Österreich erlaubt. Dennoch lassen sich bei aller Vorsicht einige Feststellungen treffen.
1. Totgesagte leben länger
Die Meldungen vom unmittelbar bevorstehenden Ableben der ÖVP haben sich wieder einmal als verfrüht herausgestellt. Die Partei Michael Spindeleggers ist - wenn auch auf niedrigem Stimmniveau - nach wie vor in der Lage, Wahlen für sich zu entscheiden. Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, dass alle Mitbewerber mehr oder weniger an der EU herummäkelten, die ÖVP hingegen als Einzige ein bedingungsloses Ja zur Europäischen Union sagte. Dies war ein Alleinstellungsmerkmal, das vom Wähler offensichtlich honoriert wurde. Die Volkspartei könnte daraus den Schluss ziehen, dass sich eine klare Haltung in der Politik lohnt und man nicht vor jeder Regung des Zeitgeists einknicken muss.
Dass die ÖVP trotz ihres gestrigen Erfolgs nicht aus den Krisen-Schlagzeilen kommen wird, dafür sorgt ihr desaströses Abschneiden in Vorarlberg. Dort wird sie sich für die Landtagswahl im Herbst warm anziehen müssen.
2. Die FPÖ holt auf
Nach einem pannenreichen Wahlkampf (man denke an den Austausch von Spitzenkandidat Andreas Mölzer) sind die Freiheitlichen die Überraschung des Sonntags. Sie rückten den Sozialdemokraten wieder näher. Das wird mehrere Folgen haben: Die Wiener SPÖ, die 2015 eine Landtagswahl zu schlagen hat, wird angesichts der Herausforderung durch Heinz-Christian Strache nervös werden. Damit wird der parteiinterne Druck auf Werner Faymann, endlich Politik zu machen, steigen. Der linke Flügel der SPÖ wird verstärkt auf eine schuldenfinanzierte Steuerreform drängen. Das dürfte die Zusammenarbeit in der Bundesregierung schwieriger machen. Konflikte sind programmiert. Ob der SPÖ-interne Frust über Platz zwei auch zu einer Debatte um Parteivorsitzenden Werner Faymann führen wird, bleibt abzuwarten.
3. Auslaufmodell Große Koalition
Neuerlich haben es SPÖ und ÖVP nur hauchdünn geschafft, zusammen über 50 Prozent der gültigen Stimmen zu kommen. Dabei konnten sie dank ihrer nach wie vor beeindruckenden Parteiapparate ihre Stammwähler am Sonntag sicher besser mobilisieren als die anderen Parteien. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Große Koalition unter normalen Bedingungen, also bei einer Nationalratswahl, keine Mehrheit mehr bekommen würde. Das dürfte SPÖ und ÖVP aber vorerst egal sein. Trotz aller Wahlniederlagen teilen sie sich das Land ja nach wie vor so auf, als hätten sie zusammen immer noch 95 Prozent der Stimmen.
4. Dämpfer für die Neos
Die Neos, die bereits als neue ÖVP hochgejubelt wurden, sind in den Mühen der Ebene angekommen. Dass sich ihre selbst gesteckten Erwartungen am Sonntag nicht erfüllten, ist ihre eigene Schuld. Fragwürdiger Aktionismus wie der jüngste Auszug aus dem Parlament oder Fotos vom Bäume umarmenden Parteichef Mathias Strolz ersetzen auf Dauer kein Parteiprogramm. Niemand weiß, wofür die Neos stehen. Das werden sie ändern müssen. Sonst werden sie politische Episode bleiben.
5. Die Grünen erblühen
Eine Überraschung ist das Abschneiden der Grünen. Nach einer langen Phase, in der sich die Partei in der Wählergunst kaum bewegte, erzielte sie nun ihr bestes bundesweites Ergebnis. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Vielleicht waren es die schönen Wahlplakate.
6. Österreich ist stabil
Bei allen Verschiebungen im Prozentbereich hat sich die Parteienlandschaft in Österreich als bemerkenswert stabil erwiesen. Wenn man bedenkt, was den Bürgern in letzter Zeit alles zugemutet wurde - vom Hypo-Debakel über die Reformverweigerung bis hin zu den Steuererhöhungen -, ist das vielleicht die größte Überraschung von allen.