Geeichte Karl-May-Leser kennen die chinesische Wasserfolter: Ein Mann sitzt gefesselt auf einem Sessel, über ihm hängt ein Kübel mit Wasser. Erst passiert lang nichts, dann löst sich ein Tropfen und klatscht auf die Stirn des Delinquenten - patsch!
Hierauf passiert lang nichts, dann löst sich wieder ein Tropfen und klatscht dem Gefesselten auf die Stirn - patsch! Und so weiter. Vom ständigen "patsch!" wird man angeblich wahnsinnig und tut, was die Folterknechte wollen. Das ist chinesische Wasserfolter.
Ähnlichkeiten mit der Arbeit der Großen Koalition sind selbstverständlich rein zu-, aber augenfällig: Der Bürger sitzt gefesselt (nämlich vom Schauspiel der Regierungsarbeit) da. Erst passiert lang nichts (außer den üblichen Streitereien). Dann löst sich ein Tropfen von Konstruktivität (in Form einer Neustart-Verkündigung) und fällt auf die Stirn des Delinquenten, äh, Bürgers - patsch!
Hierauf passiert lang nichts (außer den üblichen Streitereien). Dann löst sich wieder ein Tropfen von Konstruktivität (in Form des Angebots einer Reformpartnerschaft) und klatscht dem Gefangenen, äh, Bürger auf die Stirn - patsch! Und so weiter. Von diesem ständigen "patsch!" wird der Gefolterte, äh, Bürger langsam, aber sicher wahnsinnig.
Wenn wir es richtig verstanden haben, wäre Christian Kern dafür, noch ein Jahr konstruktiv weiterzutropfen und die chinesische Koali tionsfolter bis Herbst 2018 fortzusetzen. Patsch! - Pause - patsch! - Pause.
Sebastian Kurz hingegen wählt einen an deren, doch ebenfalls fernöstlichen Zugang.
Er dürfte in den letzten Tagen das Werk des chinesischen Kriegstheoretikers Sunzi in die Hände bekommen haben. Sunzi lebte um
500 v. Chr., war General und legte seine Gedanken über eine erfolgreiche Kriegsführung im Buch "Die Kunst des Krieges" nieder, das
bis heute in Militärakademien und Manager seminaren gelesen wird. "Krieg ist Täuschung", lehrte Sunzi. "Greife den Gegner an, wenn er unvorbereitet ist und dich nicht erwartet."
Zur aktuellen Neuwahldebatte schrieb Sunzi vor 2500 Jahren: "Wer nicht siegen kann, schützt sich, und wer siegen kann, greift an." Speziell für neu bestellte ÖVP-Obleute hatte er den Rat parat: "Das Chaos zu beherrschen ist auf vielerlei Weise möglich. Mit Disziplin tritt der weise Feldherr dem Chaos entgegen und mit Ruhe dem Tumult."
Und allen Parteien rät Sunzi als Wahlkampftaktik: "Die Soldaten sind in Rage zu versetzen, damit sie den Feind vernichten. Greife die Stellen des Feindes an, die ungeschützt sind, und du wirst Erfolg haben." Wir gehen also unruhigen Zeiten entgegen. Nach der Wahl wird dann wieder der Kübel aufgehängt.

