Zu Beginn ein wenig Statistik. In der abgelaufenen Parlamentssaison erhielten 39 Abgeordnete im Nationalrat einen Ordnungsruf. Ein Ruf zur Ordnung wurde für die Charakterisierung eines Mandatars als "betäubtes Faultier" erteilt, ein anderer für die Feststellung, dass die ÖVP politisch mit einem "Beistrich in der Hose" agiere.
Beide Ordnungsrufe erfolgten also zu Recht. Der eine wegen fehlender Differenzierung in Zweifinger- oder Dreifingerfaultier, der andere wegen Verrats eines Staatsgeheimnisses.
Noch vor 120 Jahren hätten die beiden Aussagen sicher keine Ordnungsrufe nach sich gezogen, sondern eher den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Angesichts dessen, was sich die Abgeordneten damals an den Kopf warfen, wäre "betäubtes Faultier" ein Kosename gewesen. Denn in der Endzeit der Habsburgermonarchie ging es im Wiener Parlament ziemlich rau zu. So rau, dass der Wien-Reisende Mark Twain nicht nur Bauklötze, sondern gleich ein ganzes Buch staunte. Das lesenswerte Werk heißt "Turbulente Tage in Österreich" und schildert eine Reichsratssitzung im Herbst 1897.
"Wie auf Kommando brach ein derart wildes, rasendes und markerschütterndes Geschrei los, wie es auf diesem Planeten nicht mehr vernommen wurde, seit die Komantschen das letzte Mal eine weiße Siedlung um Mitternacht überfielen", schreibt Twain.
Penibel listet er im Folgenden die Verbalinjurien auf, die sich die Abgeordneten an den Kopf warfen, und von denen "Zuhälter" und "Bordellvater" noch die höflichsten waren. Mark Twain war merkbar begeistert, und zwar auch über den Zwischenruf an die Adresse eines adeligen Parteichefs: "Ihre Großmutter wurde auf dem Misthaufen gezeugt!"
Der Beobachter aus Amerika schildert auch die berühmte Begebenheit mit den Pultdeckeln im Reichsrat.
"Nun wurde ein neues und höchst wirksames Mittel zur Lärmerzeugung ins Spiel gebracht. Jedes Pult hatte ein bewegliches, ausziehbares Brett, achtzehn Zoll lang, sechs Zoll breit, ein halbes Zoll dick. Ein Mitglied des Reichsrats zog eines davon heraus und begann, damit auf sein Pult zu schlagen. Im Handumdrehen folgten andere Mitglieder seinem Beispiel. Das Ergebnis kann man sich vorstellen: Von allem erdenklichen Lärm ist dies der ohrenbetäubendste, unerträglichste - einfach infernalisch."
Als Urheber der hier von Mark Twain gewürdigten parlamentarischen Innovation gilt der Deutschnationale Karl Hermann Wolf, der 1897 auch für sein Duell mit dem damaligen Ministerpräsidenten Badeni berühmt wurde. Wolf hatte den Grafen im Reichsrat derart beleidigt, dass dieser ihm seine Sekundanten schickte. Zwei Tage später standen die beiden einander in der Reithalle einer Wiener Kaserne zum Pistolenduell gegenüber. 25 Schritte Distanz, dreimaliger Kugelwechsel. Bereits mit dem ersten Schuss traf Wolf den Regierungschef in die Schulter.
So ging es damals in Wien zu. Wenn heute von einem "Duell um Wien" die Rede ist, meint man Unblutiges. Michael Häupl und Heinz-Christian Strache kommen zwar beide aus schlagenden Verbindungen, denken aber nicht daran, ihr Duell mit Säbeln auszutragen.
Um 1900 hingegen waren nicht nur Pistolen-, sondern auch Säbelduelle in der Politik der letzte Schrei. Im Parlament in Budapest gerieten zwei Magnaten derart aneinander, dass sie trotz fortgeschrittenen Alters unbandagiert die Säbel kreuzten. Sie verausgabten sich dabei derart, dass der Schiedsrichter auf "beiderseitige völlige Erschöpfung" erkannte und den Kampf beendete, ehe Blut floss.
Man könnte sich vorstellen, dass auch der Wiener Landtagswahlkampf so endet. In allseitiger völliger Erschöpfung, aber immerhin unblutig.