Beinahe wäre die Briefmarke eine österreichi- sche Erfindung gewesen. Beinahe. Anno 1836 unterbreitete der aus Krain stammende Subalternbeamte Laurenz Koschier der Hofkammer in Wien den Vorschlag, "aufklebbare Brieftaxstempel" einzuführen, um die Verrechnung der Postleistungen zu vereinfachen. Die Wiener Finanzgewaltigen äußerten sich lobend über diese Idee, lehnten sie aber trotzdem ab. Die Briefmarke wurde daraufhin vier Jahre später in England erfunden.
Wiederum neun Jahre später - 1849 - führte dann auch Österreich die "Frankierung der Briefe mittels verkäuflicher und aufgeklebter Stempel" ein. Begründung: Österreich dürfe nicht hinter den zivilisierten Staaten Europas zurückbleiben.
Ein ähnliches Schicksal wie Koschier erlitten die österreichischen Erfinder bzw. Nicht-Erfinder der Schiffschraube und der Nähmaschine. Die einzige Innovation, die unser Land wirklich resolut durchzog, war die Große Koalition. Aber da kann man halt nichts machen.
Zurück zur Briefmarke. Im August 1991 wurde eine solche "gepresste Papieroblate", wie sie Koschier in seiner Eingabe an die Hofkammer genannt hatte, in der Tiroler Gemeinde Kramsach auf eine Ansichtskarte geklebt und selbige in einen Postkasten geworfen. Da man seit Karl Kraus weiß, dass dem Ausdruck "Die Post aufgeben" ein gewisser Doppelsinn innewohnt, überrascht es kaum, was weiter geschah.
Wie in den Gazetten kürzlich zu lesen stand, langte die betreffende Ansichtskarte aus Tirol erst jetzt, im August 2014, an ihrem Bestimmungsort im deutschen Schwarzwald ein. Die Zustellung der Karte (mit der Botschaft: "Wir sind wieder zu Hause. Nochmals herzliche Grüße!") hatte 23 Jahre gedauert.
Die Sache ist insofern bemerkenswert, als 1991 ein politisch interessantes Jahr war: Österreich debattierte damals über Steuersenkung, Budgetsanierung und Pensionsreform. Die ÖVP steckte mitten in einer Obmanndebatte (war dann aber auch mit ihrem neuen Parteichef unzufrieden). Das Bundesheer klagte über mangelnde Ausrüstung und ein zu niedriges Budget. Die Luftraumüberwachung war lückenhaft. Rot-Schwarz zerbrach sich den Kopf darüber, was man gegen den Aufstieg der FPÖ tun könnte. Und eines der wichtigsten Themen der Politik waren Reformen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, zu welchem Zweck eine hochkarätig besetzte Föderalismus-Arbeitsgruppe eingesetzt wurde.
Das geschah 1991, als in Kramsach die Postkarte aufgegeben wurde. Die Karte ist, wie gesagt, jetzt an ihrem Bestimmungsort angelangt. Die Politik noch lange nicht. Vielleicht sollten wir uns von der Post regieren lassen? Die ist schneller. Nochmals herzliche Grüße!