Viel wird heuer zurückgeblickt auf die Jahre 1945 bis 1955, und viel Lob fällt dabei für die Große Koalition ab. Zu Recht. Die Zusammenarbeit der beiden großen Lager war eine wesentliche Voraussetzung für das Wiedererstehen Österreichs aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Heute ist sie zu einem Klotz am Bein geworden, zu einem Hemmschuh für die Entwicklung unseres Landes.
Aber was macht die SPÖ-ÖVP-Regierung heute anders als vor 70 Jahren, zu den Zeiten von Figl, Schärf und Raab? Fünf wesentliche Unterschiede sind auszumachen.
1. Nach dem Krieg hatten die Große Koalition und das ganze Land ein klares Ziel vor Augen. Man wollte den Schutt wegräumen, die Freiheit wieder erringen und Österreich nach vorn bringen. Was auch gelang. Heute gibt es ein solches gemeinsames Ziel längst nicht mehr. Alles soll so bleiben, wie es ist, dann wären die meisten schon zufrieden. Wenn man sich kein Ziel setzt, kann man aber auch keinen Erfolg haben. Die Große Koalition lässt heute jeglichen Offensivgeist vermissen.
2. Mangels Massenmedien waren SPÖ und ÖVP nach 1945 auf den persönlichen Kontakt zu den Wählern angewiesen. Heute versuchen sie, diesen Kontakt über die Medien herzustellen. Doch täglich aus dem Fernsehen und aus den Gratiszeitungen zu lachen ist noch keine Bürgernähe. Die Menschen wollen, dass ihnen jemand ganz persönlich zuhört.
3. In der Anfangszeit wussten beide Parteien, was sie einander zumuten konnten und was nicht. "Das kann ich nicht verlangen, das bringt mein Gegenüber in seiner Partei nie durch" war damals in der Großen Koalition ein oft gehörter Satz. Diese Fähigkeit, die Schmerzgrenzen des Partners einzukalkulieren und auch mit dessen Kopf zu denken, ist verloren gegangen. Heute stellen beide Parteien reihenweise Forderungen auf, von denen sie wissen, dass sie für den Partner absolut untragbar sind. Das bringt nichts außer Frust, Stillstand und den Eindruck ständigen Streits.
4. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg war die Große Koalition alternativlos. Selbst als die ÖVP eine absolute Mehrheit erzielte, regierte sie nicht allein, sondern band die SPÖ ein. Das schuf Vertrauen und Berechenbarkeit. Heute gibt es zwar auch die ewige rot-schwarze Koalition, dennoch argwöhnen SPÖ und ÖVP ständig, dass sie der Partner aus der Regierung kippen will. Das sät Misstrauen.
5. Die Große Koalition war anfangs ein Erfolgsmodell. Beide Parteien profitierten von der Zusammenarbeit und gewannen Wahlen. Heute ist die Große Koalition stets der programmierte Wahlverlierer. Jeder Wahlabend bietet das gleiche triste Bild. Das lähmt die Tatkraft. Denn es muss frustrierend sein, in einem Unternehmen zu arbeiten, das pausenlos Verluste einfährt.