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Leberschau und Wahlprognosen

Alexander Purger

Abraham a Sancta Clara erzählte in einer seiner Predigten die Geschichte vom schlagfertigen Kalendermacher.

Ein Kalendermacher hatte für den

1. Juni Frost eingetragen. Als es so weit war, war's ein heißer Tag, aber ein Kaufmann, bei dem der Kalendermacher zu Gast war, ließ sein Haus ordentlich einheizen. "Mein Herr", erkundigte sich der Kalendermacher, "warum habt Ihr die Stube so heiß machen lassen?" - "Weil im Kalender steht, dass es heute bitterkalt ist", antwortete der Kaufmann. Da sagte der des Irrtums überführte Prophet lachend: "Ja, ich mache Kalender und Gott das Wetter!"

Die Geschichte passt insofern in unsere Zeit, als Österreich ja vor zwei wichtigen Landtagswahlen steht. Prophezeiungen über die beiden Wahlausgänge gibt es bereits zuhauf. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass die Propheten am Wahlabend werden sagen müssen: Ja, wir machen die Wahlprognosen und der Wähler das Ergebnis.

Womit aber nichts gegen Prognosen und Prognostiker insgesamt gesagt werden soll. Die Wahrsagerei ist vermutlich das zweitälteste Gewerbe der Welt, nachgewiesen schon vor 5000 Jahren in den Hochkulturen des Zweistromlands. Damals erfragte man die Zukunft nicht, indem man zufällig ausgewählten Mitbürgern am Telefon lästige Sonntagsfragen stellte, sondern indem man bei Sonnenaufgang die frische Leber eines Opferlamms begutachtete.

Man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, dass auf der Leber das exakte Wahlergebnis verzeichnet gewesen wäre. Zum Beispiel: Assurbanipal 33 Prozent, Hammurabi 25 Prozent und Sargon 19 Prozent. Das nicht. Der Leberschauer trat vielmehr in unmittelbaren Kontakt mit den Göttern (weshalb er vorher keine Knoblauchgerichte verzehren sollte), und die Götter teilten ihm durch diverse Zeichen auf der Leber die Zukunft mit, was der Wahrsager dann an seinen Auftraggeber weitergab.

Mitunter geschah dies in Form eines verklausulierten Spruchs. Den berühmtesten erhielt der lydische König Krösus, als er dem Orakel von Delphi die Frage vorlegte, ob er den mächtigen Persern den Krieg erklären solle. Wenn er das tue, werde er ein großes Reich zerstören, lautete die Auskunft des Orakels, woraufhin Krösus erfreut in den Krieg zog. An dessen Ende musste er freilich feststellen, dass man den Orakelspruch so und so lesen konnte. Denn das zerstörte Reich war sein eigenes gewesen.

Später wurden statt der Innereien von Opfertieren auch die Gestirne zum Blick in die Zukunft herangezogen. Dabei galt eine Mondfinsternis in Verbindung mit einer bestimmten Sternenkonstellation als das böseste aller möglichen Vorzeichen. - Es zeigte den unmittelbar bevorstehenden Tod des Königs an!

Nun war es aber damals schon so wie heute: Prognosen sind dazu da, um rechtzeitig etwas dagegen zu unternehmen, dass sie sich bewahrheiten. So bürgerte sich in Babylon die Sitte ein, dass die Könige bei einer Mondfinsternis für einen Tag abdankten, irgendeinen armen Tropf zum Monarchen erklärten, ihn töten ließen und dann fröhlich auf den Thron zurückkehrten.

Diese grausige Methode des Ersatzkönigs war weitverbreitet, einmal ging sie aber schief. Ein kleiner Gärtner des Hofs war gerade gekrönt worden und rechnete stündlich mit seiner Ermordung, da geschah es, dass der echte König ganz plötzlich verstarb. Der Fluch der Mondfinsternis hatte zugeschlagen. Und was geschah? Der kleine Gärtner blieb König bis ans Ende seiner Tage.

Jetzt wissen wir nicht, ob am 11. Oktober, dem Tag der Wiener Landtagswahl, eine Mondfinsternis bevorsteht. Es dürfte nach dem bisher Gesagten aber niemanden verwundern, sollte Michael Häupl am Morgen des Wahltags abdanken und Heinz-Christian Strache für einen Tag zum Bürgermeister erklären.