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Marmelade und Ministerrat

Kann es in einem Weltkrieg eigentlich auch Humor geben? Es kann, wie die aktuelle Ausstellung des Bundeskanzleramts über die Jahre 1914 bis 1918 zeigt.

Alexander Purger

Sie trägt den Titel "Extraausgabee!" und beleuchtet die Rolle der Medien im Ersten Weltkrieg. Zu sehen ist etwa eine Nummer der humoristischen Zeitschrift "Die Muskete" vom Herbst 1914, die sich in Form von Karikaturen über die damalige Militärsprache lustig machte.

Zur Floskel "Der Feind wird über die Grenze zurückgeworfen" zeichnete die "Muskete" zwei österreichische Soldaten, die einen Russen bei Armen und Beinen packen und über einen schwarz-gelben Grenzzaun wuchten. Der Satz "Die Festung wird entsetzt" wurde illustriert mit der Zeichnung einer Festung mit aufgemaltem Gesicht, dessen Ausdruck ein ziemlich entsetzter ist.

Der Militärausdruck "Umfassung des linken Flügels" wurde in Gestalt eines Soldaten wiedergegeben, der einen großen Vogelflügel umarmt. Und zur Meldung "Der Gegner wird aufgerieben" fiel der "Muskete" eine Kaffeemühle ein, in die oben feindliche Soldaten hineingeschüttet werden und unten als fein gemahlenes Pulver wieder herauskommen. Lustig? Na ja.

Sinnentleerte Floskeln - und darauf wollte das Witzblatt damals zweifellos anspielen - gibt es bis heute. In Fernsehberichten über die jüngsten Nationalratssitzungen hieß es zum Beispiel, die Abgeordneten hätten einander in Sachen Hypo einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Dabei hielten die Mandatare nur Reden. Was würde das Fernsehen sagen, wenn die Abgeordneten wirklich Schläge abtauschen würden?

Seltsam ist auch, dass Politiker oft scharfe Attacken reiten, obwohl sie gar kein Pferd dabei haben, oder den Gegner aufs Korn nehmen, obwohl sie - Gott sei Dank - gar kein Gewehr in der Hand halten. Dass die höchsten Gipfeltreffen immer im Tal stattfinden, sei am Rande erwähnt.

Eine geheimnisvolle Floskel in der politischen Berichterstattung ist auch der Satz: "Die Gesetzesvorlage passierte den Ministerrat." Gemeint ist, dass die Regierung einen Gesetzestext beschlossen und zur endgültigen Beschlussfassung an das Parlament weiter geleitet hat. Das "Passieren des Ministerrates" bezeichnet somit eine Etappe des Gesetzwerdungsprozesses.

Zieht man ein Kochbuch zurate, ist Passieren hingegen ganz etwas anderes. Nämlich der Arbeitsschritt, mit dem Marmelade nach dem Kochen durch ein Sieb gestrichen ("passiert") wird, damit sie keine festen Bestandteile mehr enthält, sondern ein sämiger Brei wird. Die Zeichner der "Muskete" hätte den Satz "Die Pensionsreform passierte den Ministerrat" also so illustriert: Die personifizierte Pensionsreform (sicher eine ganz schiache Person) streicht die Mitglieder der Regierung so lang durch ein engmaschiges Sieb, bis nur noch Brei übrig ist.

Ganz ehrlich: Trifft das die aktuelle Lage nicht ganz gut? Denn sobald es um notwendige Änderungen am Pensionssystem geht, agieren SPÖ und ÖVP entweder automatisch windelweich oder es passieren derartige verbale Schlagabtäusche, dass von den Parteien nur noch Brei übrig bleibt.

Seit vielen Jahren passiert das Thema Pensionsreform auf diese Art den Ministerrat. Die Koalition ist schon ganz dünnflüssig.

Das führt dazu, dass eine echte Pensionsreform nie den Ministerrat passiert. Sondern am Ende jeder passierten Marmeladesitzung tritt die Regierungsspitze vor die Medien und verkündet stolz, dass bei den Pensionen wieder einmal nichts passiert sei.

Und dann wundert sich die Große Koalition, wenn die Bürger entsetzt sind. Was klarerweise dazu führt, dass die Koalitionsparteien bei Wahlen immer mehr aufgerieben und zurückgeworfen werden und hilfesuchend ihre Parteiflügel umfassen müssen. Rein musketisch gesprochen.