Fremdenverkehr ist etwas Eigentümliches. Wien-Touristen wird in jedem Reiseführer aufgetischt, dass der echte Wiener den ganzen Tag im Kaffeehaus sitzt, dort nur einen kleinen Braunen sowie unzählige Gläser Wasser konsumiert, dafür aber alle Zeitungen liest und nebenbei ein Buch schreibt, das sich in 100 Jahren als Geniestreich herausstellen wird.
Solcherart neugierig gemacht stehen die Touristen vor den berühmten Wiener Innenstadt-Cafés geduldig Schlange, bis sie nach geraumer Wartezeit einen der legendären Marmortische ergattern und endlich was zu sehen bekommen? Andere Touristen.
Aber Wien hat ja noch viele weitere Sehenswürdigkeiten. Zum Beispiel schwule Ampelmännchen. Oder mintgrün betonierte Radwege. Oder Mistkübel mit der Aufschrift "Host an Tschick?". Also absolute Touristenmagneten. Kein Mensch kommt wegen Schönbrunn nach Wien oder wegen der Staatsoper. Nein, alle wollen den Mistkübel mit der Aufschrift "Hau was rein!" sehen. Verständlich.
Um diese singuläre Position im internationalen Städtetourismus abzusichern und weiter auszubauen, hat Wien nun eine Bürgerbefragung über die nächsten Mistkübel-Aufschriften gestartet. Wir haben ja keine anderen Probleme. Also werden die Wiener jetzt vor die alles entscheidende Wahl gestellt: "Feng pfui!" oder "Hasta la Mista, Baby?".
Wien packt damit eines der heißesten Eisen der Gegenwart an und setzt neue Maßstäbe in puncto direkter Demokratie. Während die Schweiz ihre Bürger nur über Randthemen wie die Zuwanderung oder die Höhe der Steuern abstimmen lässt, wird in Österreich die Bürgerbeteiligung wirklich gelebt. Bei uns sind es nicht irgendwelche anonymen Gremien, sondern die mündigen Bürger selbst, die mit Abstimmungen über die Farbe der Autobahn-Vignette oder die Beschriftung der Wiener Mistkübeln die entscheidenden Weichen für die Zukunft des Landes stellen.
Eine kleine Ergänzung würde die üppige direktdemokratische Ausstattung Österreichs allerdings noch vertragen. Wie man gerade sieht, sind Wahlen bei uns keine Richtungsentscheidung, sondern eine unverbindliche Willensäußerung, an die der betreffende Mandatar in keiner Weise gebunden ist. Man wählt ihn etwa in die FPÖ, wenig später taucht er im BZÖ auf, um dann ein Sprüngerl beim Team Stronach vorbeizuschauen und sich schließlich von der ÖVP abwerben zu lassen.
Vielleicht sollte man es dem Wähler ermöglichen, auf dem Wahlzettel nicht nur die erste, sondern auch jene Partei zu vermerken, zu welcher der Abgeordnete seiner Wahl im nächsten Monat wechselt. In Deutschland nennt man das Zweitstimmensystem.