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Plädoyer für zeitnahes Dornbirnen

Alexander Purger

Österreich hat ein neues Zauberwort. Es ist von irritierender Schönheit und lautet zeitnah. Besonders im Schwange ist es in Wien. Es ist somit wiennah.

Der dortige Bürgermeister Michael Häupl hat angekündigt, er werde zeitnah nach der nächsten Nationalratswahl zurücktreten. Und seine Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (auch "Die Rache Griechenlands" genannt) hat nach dem Nein ihrer Parteibasis zu einem umstrittenen Hochhausbau zeitnah entschieden, dass sie das Nein nicht kratzt und der Wolkenkratzer trotzdem gebaut wird. Vermutlich zeitnah.

Auch unsere Bundesregierung erklärte kürzlich, dass sie zwar mit ihrem Arbeitsplan in Verzug geraten sei, sich aber bemühen werde, die angekündigten Reformen zeitnah zu beschließen. Das ist schön. Aber warum sagen die Leute eigentlich nicht bald? Was soll das geschwollene zeitnah?

Eine mögliche Antwort findet sich in Marcel Prousts 5000 Seiten starkem und damit eher kurzweilfernem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Darin heißt es über Paris um 1915:

"Die geläufige Form der Dummheit bestand darin, dass jeder stolz darauf war, die geläufigen dummen Ausdrücke zu verwenden, und damit zu zeigen glaubte, auf der Höhe der Zeit zu sein."

Nun ist die Wortwahl Prousts, so weit sie unsere Politiker betrifft, natürlich absolut indiskutabel bzw. diskussionsfern. Aber so steht es halt geschrieben. Der Ausdruck, der Proust zu seiner Bemerkung veranlasste, war übrigens, dass jemand "limogiert" worden sei.

Dieses damalige Modewort entstand dadurch, dass Frankreich im Ersten Weltkrieg rund 100 Generäle, die sich an der Front als unfähig erwiesen hatten, ihres Kommandos enthob und straf weise nach Limoges versetzte. Dadurch wurde "limogieren" zum Synonym für abschieben und kaltstellen. Aber wie es Modewörtern halt so geht, ist "limogieren" längst vergessen. Modewörter sind nur zeitnah einsetzbar.

Die 100 Generäle hätten es übrigens schlechter treffen können. Limoges ist ein nettes, etwas abgelegenes Städtchen in Frankreich. Man könnte es in Österreich vielleicht mit Tamsweg, Dornbirn oder Murau vergleichen.

Böse Menschen wie dieser Proust könnten jetzt auf die Idee kommen, auch diese heimischen Örtlichkeiten als Exilorte für trockenheitsferne, sprich überflüssige Funktionsträger zu verwenden. Sollte man Politiker, die ihre Entscheidungen weder zeit- noch hirnnah treffen, vielleicht tamswegen? Oder dornbirnen? Könnte man einer Regierung, die nur wahlnah in die Gänge kommt, Beine machen, indem man ihr androht, sie zeitnah zu murauen?

Wer weiß. Aber zurück zu Michael Häupl. Er hat, wie erwähnt, angekündigt, in Bälde zurückzutreten und sich in seinen Heimatbezirk zurückzuziehen, sich also selbst zu ottakringen. Um seine Nachfolge tobt ein heftiger parteiinterner Streit, was immer so ist, wenn ein Großer sich anschickt, funktionsfern zu werden. Das hat wieder mit dem Pro blem von Nähe und Ferne zu tun. Der große Machttechniker Machiavelli schrieb dazu, "man dürfe einem Machthaber nie so nahe stehen, dass sein Sturz dich mitreißt, noch so ferne, dass du im Falle seines Sturzes nicht zeitig genug aus den Trümmern, die er hinterlässt, emporsteigen kannst".

Dieser Mittelweg ist schwer zu finden, gestand Machiavelli ein, und das können all jene, die sich um die Häupl-Nachfolge in Wien bemühen, nur unterschreiben. Häuplnah oder häuplfern, das ist hier die Frage.

Ähnlich knifflig ist für Karrieristen in der Bundes-SPÖ die Entscheidung zwischen kernnah und kernfern. Ganz zu schweigen vom ÖVP-Dilemma zwischen mitterlehner- und kurznah. Was da wohl die richtige Entscheidung ist? Wir werden es zeitnah erfahren.