Eine der Erstaunlichkeiten der Steuerreform ist die Erhöhung der Negativsteuer. Allerdings wäre es irrig, in diesem seltsamen Wort eine Innovation der Großen Koalition zu erblicken. Wie die Recherchen zum Jubiläum "70 Jahre SN" ergaben, wurde das Konzept der Negativsteuer vor Jahrzehnten von einem SN-Leser in Saalfelden erfunden. Er hatte es nur etwas anders gemeint.
Blenden wir zurück ins Jahr 1977. Die Politik war damals nicht viel anders als heute. SPÖ und ÖVP stritten über die Gesamtschule (was sie heute noch tun) und über Selbstbehalte im Gesundheitswesen (was sie ebenfalls heute noch tun). Auch damals blickte der Finanzminister mit Sorge auf die steigenden Staatszuschüsse zu den Pensionen und drängte auf eine Pensionsreform. Auch damals biss er damit bei SPÖ und ÖGB auf Granit und handelte sich einen bösen Rüffel ein. Der einzige Unterschied zu heute ist, dass es damals nicht ein ÖVP-Mann war, der klein beigeben musste, sondern ein SPÖ-Mann, nämlich Hannes Androsch.
Um das Budgetloch dennoch irgendwie zu schließen, gebar Androsch damals diverse Steuererhöhungsideen, was einem a) irgendwie bekannt vorkommt und b) besagten SN-Leser aus Saalfelden zu folgendem Leserbrief animierte, der am 2. August 1977 in den SN abgedruckt wurde:
"Ich beobachte nun schon seit geraumer Zeit die verzweifelten Versuche unseres Herrn Finanzministers, neue Einnahmequellen für den Staat zu erschließen, um der prekären finanziellen Lage Herr zu werden und nicht in den Ruf zu kommen, ein Lump zu sein, der mehr gibt, als er hat. Nun sind es aber immer wieder die gleichen Kühe, die gemolken werden sollen, und diese Einfallslosigkeit des Herrn Finanzminister ist für mich der Anlass, ein paar, natürlich unverbindliche, Vorschläge zu machen. Ich komme mit einer, meines Wissens nach, neuen Idee. Für dieses Steuersystem schlage ich die Bezeichnung ,Negativ-Steuer‘ vor, in Anlehnung an einen Begriff aus der Fotografie.
1. Blue-jeans-Steuer: durch die besondere Haltbarkeit des für diese Kleidung verwendeten Materials einerseits, die ungeheure Verbreitung dieser Kleidung in allen Schichten der Bevölkerung und das unverminderte Anhalten dieser Tendenz, sich leger zu kleiden, andererseits entsteht der Industrie und dem Handel ein unermesslicher Schaden und es erscheint gerechtfertigt, durch eine Besteuerung für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Wie kommen z. B. alle jene dazu, finanziell benachteiligt zu werden, die, aus welchem Grund immer, keine Jeans tragen (der Herr Erzbischof z. B.)
2. Gesunden-Steuer: unsere Spitäler sind übervoll mit Kranken; mit bedauernswerten Menschen, welche durch ihr Kranksein unverschuldet vielerlei Nachteile in Kauf nehmen müssen. Gesundheit ist ein unbezahlbarer Schatz und jedem gesunden Staatsbürger wird es einleuchten, daß es nichts anderes als ein vernünftiger Ausgleich sein kann, wenn er für das Gesundsein eine Steuer bezahlen soll. Wie kommt der eine dazu, daß er krank ist und der andere nicht. Gesundsein ist in diesem Falle nahezu ein Ärgernis. Nicht-Brillenträger müssten z. B. zusätzlich einen Aufschlag leisten."
So also kam die Idee der Negativsteuer in die Welt. Ersonnen vor 38 Jahren an einem Sommertag in Saalfelden. Aber wie das Leben halt so spielt: Die Regierung griff die Idee einer "Blue-jeans-Steuer" zur Entlastung des Herrn Erzbischofs nicht auf, sondern führte 1977 lieber eine 30-prozentige Luxussteuer auf Autos, Hubschrauber und Antiquitäten ein, die älter als 100 Jahre waren.
Die SN fragten daraufhin nach, ob das jetzt alles gewesen sei oder ob man mit weiteren Steuererhöhungen rechnen müsse. Finanzminister Hannes Androsch antwortete 1977 wörtlich: "Ich kann es nicht ausschließen. Was ist, wenn es Schusterbuben regnet?"
Im Rückblick weiß der Steuerzahler: Es hat keine Schusterbuben geregnet. Sondern ganze Schuhfabriken.