Der Besuch klassischer Konzerte wirft immer wieder drei Fragen auf. Erstens: Tragen auch die Hust-Orgien in den Satzpausen der Symphonien meteorologische Kosenamen wie Räusper-Hurrikan Katrina oder Röchel-Orkan Olaf? Zweitens: Wieso können wir zum Mond fliegen, haben aber immer noch nicht das geräuscharme Zuckerlpapier erfunden?
Und drittens: Warum ziehen Männer beim Betreten des Konzert- oder Opernsaals ihr Sakko mit einer Selbstverständlichkeit aus, die dem Betreten des bräutlichen Schlafgemachs angemessen wäre? Woran sich die Subfrage knüpft: Wozu nehmen sie das Sakko überhaupt mit, wenn sie es dort, wo sie hingehen, ohnehin gleich wieder ausziehen?
Russen sind da anders. Russen kommen in Begleitung üppig bepelzter Damen zum Konzert, sie selbst erscheinen zu Beethovens Neunter aber im Ruderleiberl. Man muss kein Putin-Versteher sein, um den Pragmatismus der Russen zu bewundern. (Putin würde übrigens mit nacktem Oberkörper kommen.)
Bei uns hingegen muss es etwas mit den westlichen Werten zu tun haben, die gerade so im Schwange sind: Zum Konzert geht man mit Sakko. Punkt. Man muss es nicht an-, aber man muss es mithaben. Man muss zeigen, dass man eines hat. - Vielleicht würde auch ein symbolisches Sakko reichen, ein Signal, wie es in der Politik so schön heißt?
Auf alten Gemälden sieht man mitunter, dass die spanischen Granden kleine Stoffzelte von der Schulter baumeln hatten. Es handelte sich um Mäntelchen. Unmöglich hätten sie in diese rein symbolischen Mäntel hineingepasst, aber es war ein Signal: Hola, Señores, ich habe auch einen Mantel, olé!
In diesem Sinne wäre es denkbar, dass Konzert- und Opernbesucher künftig nur noch winzige Sakköchen (und in weiterer Folge vielleicht auch nur noch Höschen und Schühchen) mit sich führen, um der Etikette Genüge zu tun. Diese symbolische Verkleinerung ist nicht so abwegig, wie sie zunächst erscheint. Bei der Krawatte ist sie schon passiert.
Die heutige Krawatte ist bekanntlich in jahrhundertelanger Verkleinerung und Veredelung aus einem Rüstungsteil entstanden, den kroatische Soldaten einst um den Hals trugen. Daher auch der Name: Kroate - Krawatte. Hätte es sich um serbische Soldaten gehandelt, würden sich die Männer heute Serbietten um den Hals binden. Jedenfalls ist eine Krawatte eine verkleinerte Rüstung. Man könnte sagen: Ein Mann, der Krawatte trägt, zeigt uns damit, dass er daheim eine Ritterrüstung hat.
In der Politik ist es ja ähnlich. Die Regierung hängte kürzlich ein kleines Bildungsreförmchen in die Auslage. Sozusagen als Signal, dass sie daheim eine echte Reform liegen hat.