Zu Beginn ein wenig Sowjetgeschichte. Als der russische Revolutionsführer Lenin starb, ordnete sein Nachfolger Stalin zur höheren Ehre des Kommunismus eine ausufernde Lenin-Vergötterung an. Zu diesem Zwecke engagierte er unter anderem einen berühmten deutschen Hirn-Professor, der sich das Oberstübchen des Verblichenen anschauen sollte.
Der deutsche Forscher reiste geschmeichelt an und machte sich umgehend an die Arbeit. Er zerschnitt Lenins Gehirn fein säuberlich in 30.000 hauchzarte Scheibchen, die er dann einzeln analysierte. Das Ergebnis der langwierigen Arbeit war ganz nach Stalins Geschmack. Lenin war ein Genie gewesen.
Der deutsche Hirn-Experte fand nämlich heraus, dass die einzelnen Denkregionen des kommunistischen Superhirns durch besonders starke Assoziationsfäden verbunden waren. Sein abschließendes Urteil über Lenin lautete somit: ein Assoziationsathlet!
Glücklicherweise leben wir heute in einer Zeit, in der man kein nachträgliches Hirn-
Carpaccio braucht, um die Genialität unserer Staats- und Regierungsspitze zu erkennen. Man merkt es ja an ihrer täglichen Arbeit (was bei Lenin offensichtlich nicht der Fall gewesen war). Mit Stolz dürfen wir sagen: Bei uns wimmelt es vor Koalitionsathleten.
Interessant an der Geschichte von Lenins Hirn ist aber noch etwas anderes: Welcher Nachfolger wendet heute irgendeine Mühe auf, um seinen Vorgänger in einem göttlichen oder wenigstens halbwegs anständigen Licht erscheinen zu lassen? Kaum einer.
Stalin hatte erkannt, dass es der Stabilität des Regimes nur von Nutzen sein konnte, wenn er den Sowjetbürgern die Gewissheit gab, dass sie bestmöglich und geradezu genial regiert wurden und weiterhin werden.
Heutige Politiker konzentrieren sich nur auf den zweiten Teil - die Propagierung der eigenen Genialität. Für die Vorgänger haben sie selten ein gutes Wort übrig. In der ÖVP, der ersten Adresse für reges Vereinsleben, gilt der jeweils jüngste der Ex-Parteiobmänner (die ÖVP hat derlei ja im Dutzend vorrätig) geradezu als Persona non grata.
Auch in der SPÖ hat man es als ehemaliger Vorsitzender nicht immer leicht. Einer von ihnen setzte sich deshalb sogar nach Argentinien ab. Und auch für den neuesten Ex-Parteichef kam es jetzt knüppeldick: In dem kürzlich erschienenen Interview- und Porträtbuch über Kanzler Christian Kern wird in aller Ausführlichkeit aus dem Artikel einer deutschen Großzeitung zitiert, die dem SPÖ-Chef überragende Lässigkeit bescheinigt, von seinem Vorgänger Werner Faymann hingegen behauptet, dieser habe über "den Charme eines Eichhörnchens" verfügt. Also wirklich!

