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Von Grün- und Distelfinken

Alexander Purger

Eine der erfreulicheren Nachrichten der vergangenen Wochen war, dass der Stieglitz zum Vogel des Jahres gewählt worden ist. Der Stieglitz mit seinem rot-weiß-gelb-schwarzen Gefieder (quasi Vierer-Koalition) ist unter Vogerlschauern deswegen besonders beliebt, weil er selbst bei Kurzsichtigkeit (des Vogerlschauers, nicht den Stieglitzes) unschwer zu erkennen ist.

Außerdem gilt er als Muster an Bescheidenheit. Das besagt zumindest die Legende, die erklärt, wie der Stieglitz zu seinem bunten Federkleid kam: Als Gott den Vogerln ihr Gefieder gab, drängten sich alle vor, um möglichst prächtige Farben zu erhalten. (Vor allem der Bienenfresser und das Rotsternige Blaukehlchen müssen damals enorme Ellbogentechnik an den fünften Schöpfungstag gelegt haben.) Ein Vogerl hingegen hielt sich im Hintergrund: der Stieglitz. Als er ganz am Ende der Gefieder-Verteilung endlich auch an die Reihe kam, hatte Gott auf seiner Palette nur noch Farbreste übrig und kleckste sie alle auf den Stieglitz, der deshalb nun aussieht wie ein kleines Mosaik.

Seine Wahl zum Vogel des Jahres ist somit hoch verdient, wenn auch politisch gesehen nicht ganz unbedenklich. Schließlich gilt der Stieglitz oder Distelfink als christliches Symbol der Passion Jesu. Sollte seine Wahl ein Werk finsterer Katholenkreise sein?

In seiner symbolischen Eigenschaft ist der Stieglitz jedenfalls auf Hunderten gotischen Heiligenbildern verewigt. Ob ein aufs Rad geflochtener Georg oder ein auf dem Rost brutzelnder Laurentius, immer sitzt am unteren Bildrand ein kleiner, bunter Stieglitz. Und interessant: Die verhärmten, ausgemergelten gotischen Heiligen haben praktisch nichts mehr mit dem heutigen Menschen zu tun, sondern sehen aus wie, nun ja, eben wie gotische Heilige. Der Stieglitz hingegen schaut heute noch genauso aus wie seine gotischen Vorfahren, also wie ein Stieglitz.

Oder stimmt das vielleicht gar nicht? Womöglich gleichen sich nur für unsere kurzsichtigen Menschenaugen Stieglitz und Stieglitz wie ein Ei dem anderen (Distelfink-Eier sind übrigens weiß mit dunklen Punkterln). Vielleicht sind die Vögel in Wahrheit ganz verschieden. Vielleicht gibt es unter den Stieglitzinnen ausgesprochene Sexbomben und unter den Herrn Stieglitzen Brad-Pitt-artige Schönlinge. Und jeweils auch das genaue Gegenteil. Wer weiß?

Das könnte natürlich umgekehrt genauso sein. Wenn sich so ein Stieglitz einen Menschen anschaut, denkt er sich vielleicht: Aha, ein Mensch. Und aus. Einem Stieglitz kann man vielleicht Michael Häupl und HC Strache nebeneinander stellen und er merkt überhaupt keinen Unterschied.

Das würde erklären, warum die Zunft der Meinungsforscher am jüngsten Wahlsonntag eine derart grausame Niederlage erlitten hat. Die Wahrsagerei geht bekanntlich zurück auf die Vogelschau der Antike. Und aus der Vogelschau waren Häupl und Strache eben ununterscheidbar wie zwei Distelfinken. Somit war es einfach unmöglich vorauszusagen, wen die lieben Wienerinnen und Wiener zum Vogel des Jahres wählen würden und wen nicht.

So war das. Und wenn wir schon beim Erklären von Unerklärlichem sind, auch noch kurz zu den Grünfinken (übrigens enge Verwandte der Stieglitze): Dass Maria Vassilakou vor der Wien-Wahl ihren Rücktritt angekündigt hatte, falls die Grünen ein Minus einfahren, jetzt aber nichts mehr davon wissen will, hat schon seine Richtigkeit.

Denn die Grünen sind am Wahlsonntag nicht nur stimmenmäßig ins Minus gerutscht, sondern auch bei den Mandaten. Und Minus mal Minus ergibt in der Mathematik nun einmal ein Plus, sodass Vassilakou mit Fug und Recht auf ihrem Sprießerl sitzen bleibt. Tschilp.