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Warum es die Bürokratie gibt

Alexander Purger

Als Österreich noch die Weltmeere befuhr, entdeckte eine Expedition 1873 in der Arktis das Franz-Josef-Land. In Wiener Regierungskreisen stellte man sich daraufhin die Frage, was man mit dem neuen, recht entlegenen Territorium eigentlich anfangen solle. "Bevölkerung gibt es dort keine", antwortete der damalige Justizminister auf eine entsprechende Anfrage grüblerisch. "Aber wenn ich in der Ödnis ein paar Bezirkshauptmannschaften einrichte, hat jede binnen einem Monat 300 protokollierte Aktenstücke betreffend ihrer inneren Organisation."

Diese treffliche Bemerkung über die Selbstbeschäftigungskräfte der Bürokratie wurde später vom britischen Soziologen Cyril Northcote Parkinson in seine berühmten Parkinson'schen Gesetze gegossen. Eines von ihnen besagt, dass sich Arbeit genau in dem Maß ausdehnt, wie Zeit zu ihrer Erledigung zur Verfügung steht. Das erklärt zum Beispiel den Umstand, warum sich Österreich seit der Ausrufung von Neuwahlen im Mai in einem halbjährigen Wahlkampf befindet. Der Grund dafür ist einfach, dass zwischen Mai und Oktober eben ein halbes Jahr Zeit ist.

Ein weiteres der Parkinson'schen Gesetze lautet, dass in Diskussionen die jeweils unwichtigsten Themen am ausführlichsten erörtert werden. Und zwar deshalb, weil die Diskussionsteilnehmer zu den trivialsten Fragen am meisten zu sagen haben. Als Beispiel führt Parkinson eine Sitzung an, in der binnen Minuten ein millionenteures Atomprogramm verabschiedet wurde, dann aber stundenlang über eine Kaffeerechnung gestritten wurde. Auch das könnte ein Schlüssel zum Verständnis des aktuellen Wahlkampfes sein.

Weniger berühmt als die Parkinson'schen Gesetze, aber womöglich noch interessanter sind jene Gesetze, die Mitte des vorigen Jahrhunderts der öster rei chi sche Nationalökonom Felix Somary aufgestellt hat. Er nannte sie die "Gesetze der verkehrten Proportionen".

Eines von ihnen lautet: "Je größer die Zivilisation, desto geringer die Freiheit." Ein anderes: "Je mehr Gesetze oder richterliche Entscheidungen, desto weniger Recht." Ein drittes besagt: "Je größer der Staat, desto einflussloser das Volk." Ein viertes (mit dem wir uns wieder dem Wahlkampf nähern): "Je weniger eine Sache begründet ist, desto leidenschaftlicher wird sie verteidigt." Und ein fünftes (das ebenfalls recht aktuell ist): "Je schwächer die Staatsfinanzen, desto höher die Ausgaben."

Das treffendste von Somarys Gesetzen ist aber folgendes: "Je höher der Platz auf der hierarchischen Stufenleiter, desto unzulänglicher wird er ausgefüllt." Somary bringt dazu das Beispiel der Armeen. Tausende Korporale seien dort ihrer Aufgabe voll gewachsen, ein fähiger Armeechef tauche hingegen kaum einmal in einer Generation auf. Man könnte ergänzen: Bei den Ministern ist es ganz ähnlich. Und zwar nicht nur bei den Verteidigungsministern. Manche von ihnen hätten tadellose Korporale abgegeben, einige ganz passable Hauptmänner und einzelne sogar einen guten Oberst. Aber Armeechef?

Doch das macht nichts. Dafür gibt es ja die eingangs erwähnte Bürokratie. Sie wird zwar viel gelästert, sorgt aber dafür, dass das Werkel auch dann rennt, wenn ein Korporal (oder gar nur Wehrmann) zum Minister wird.

So gesehen sagt es einiges über die Qualitätsentwicklung der Politik aus, dass die Bürokratie in Österreich offenbar zu starkem Wachstum gezwungen ist. Um beim Beispiel Somarys zu bleiben: Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte Österreich-Ungarn eine Armee mit 415.000 Mann, die von einem Ministe rium mit 614 Beamten geführt wurde. Heute hat Österreich eine Armee von vielleicht 25.000 Mann und ein Verteidigungsministerium mit 1000 Beamten. So sind halt die Gesetze …