Kritischer Journalismus ist für eine funktionierende Demokratie unerlässlich. Es ist aber ein gravierender Unterschied, ob auf Fakten basierend Missstände aufgezeigt werden oder ob man etwas künstlich zum Skandal hochstilisiert, nur um die Auflage zu steigern und Macht zu demonstrieren.
2017 wurde geplant, das Wiener Regierungsviertel baulich zu schützen, so wie es überall üblich ist - oder probieren Sie einmal in London in die Downing Street zu fahren. Dies sollte mit einer etwa 80 Zentimeter hohen Mauer geschehen. Sofort begann der Wiener Zeitungs-Boulevard eine beispiellose Kampagne gegen den "öden, grauslichen und vertrottelten Betonwall" oder "die Bonzen-Mauer um 1,5 Millionen Euro", die "eine kranke Ausgeburt der Terrorangst" sei. Nachdem die Volksseele gekonnt hochgeköchelt war, sich noch alle möglichen Wortmelder von ganz links bis ganz rechts auf das Trittbrett schwangen und weil gerade Wahlkampf war, knickte die Politik vor der Kampagne erbärmlich ein und ließ statt des Mäuerchens Stahlpoller bauen.
Als der Rechnungshof feststellte, dass die herbeigeschriebenen Poller um 243.000 Euro mehr kosteten als die Mauer, stellten die gleichen Blätter mit fast unüberbietbarer Chuzpe fest, dass das "zu teuer" sei und "jeder der 42 Poller" so viel gekostet hätte "wie ein VW Golf".
Die ganze Sache ist nicht nur ein Trauerspiel für die Demokratie, sondern auch ein Lehrstück für ein aus dem Ruder gelaufenes Verhältnis zwischen Politik und Boulevardmedien. Und darüber, dass ausgerechnet diese Art "Journalismus" zusätzlich zur Presseförderung noch überdurchschnittlich oft mit öffentlichen Inseraten belohnt wird, sollten wir Bürger uns wirklich aufregen.