Die schöne Markthalle befindet sich in Marseille. Genau an jener Stelle, wo das Noailles-Viertel in das Cours-Julien-Viertel übergeht. Sicher. Die Halle sieht heruntergekommen aus. Sie erinnert ein wenig an alte Fotografien von Les Halles im Marais-Viertel von Paris. Die wurden längst abgerissen. Sie wichen einem unterirdisch angelegten mehrstöckigem Einkaufszentrum. Aber in Marseille steht sie noch da: Die Halle. Nur die Aufschrift macht stutzig: "Force Ouvrière". Aha: Das heißt übersetzt "Kraft der Arbeiterin". Darunter ist zu lesen: "Union Départementale des Syndicats FO 13". Bei Syndikat denkt der Serien-Junkie an Kokain, Marihuana, Medellín und an Kartelle sowieso. Und ja. Marseille ist seit 2500 Jahren für seine multiethnische Ausrichtung bekannt. Schon damals vermischten sich dort die Griechen mit den Kelten. Aber in Frankreich steht Syndikat für die Gewerkschaft. Das erfahren wir in der Bar de Peuple. Die befindet sich gleich gegenüber. Sie ist ein Relikt der 1960er-Jahre. Eigentlich ist sie ein kleines Museum. An den kleinen Tischen sitzen intellektuell angehauchte Freizeit-Philosophen. Vor dem Zinc, also an der Bar, sitzt Chantal. Nach dem Eintreten der nicht einheimischen Gäste tänzelt sie hinter die Bar und fragt nach der Bestellung. "Bitte einen Minze-Tee und einen Espresso." Der Nachbar am Zinc bestellt einen Pastis. "Un 51." Das macht Lust auf einen Ricard. Das ist die zweite bekannte Pastis-Sorte. "Können Sie haben. Ist aber mit Karamell und Zucker versetzt. In Marseille trinkt man den 51er." "D'accord. Dann einen 51er." Das Gespräch plätschert dahin wie die 51er an den Nebentischen. Die Stimmung ist himmelblau wie das Meer. "Die Rechnung bitte." "Fünf Euro." Bitte? "Fünf Euro. Wir sind in der Bar des Volkes", sagt Chantal. Wir geben zehn. Die anderen fünf Euro wird sie für einen bedürftigen Gast aufheben.
Zurück in Salzburg. Ein Gourmet-Führer hat neue Küchengötter ausgezeichnet. Einer von denen lädt seine Stammkunden zum Menü ein: Um 319 Euro (inklusive Weinbegleitung). Ein Buchtitel von Milan Kundera fliegt uns zu:
"Das Leben ist anderswo."

