Das vinophile Trio. Von links nach rechts: Marco Perco, Francesco Ghisini und Emilio Trame.
Der Weg in den Weingarten führt übers Wasser. Genau genommen gar nicht erst in die Serenissima selbst, sondern abseits von Trubel und Touristenschwärmen zur stillen Seite der Lagune. Der Vaporetto mit der Nummer 13 wartet bereits an der Anlegestelle in Cavallino-Treporti. Die Tickets gibt's direkt hier im kleinen Hafen, und, was für ein Glück, auch die kleine Bar hat offen. Ein schneller caffè liscio, dazu ein Tramezzino, und los geht's. Mit lautem Brummen nimmt der Wasserbus Fahrt auf. Es geht nicht direkt nach Vignole, in Sant'Erasmo-Caponnone heißt es umsteigen, aber das ist nur eine Formsache, die Anschlüsse sind gut abgestimmt.
Unbeteiligt und graugrün liegt die Lagune da. Gemächlich passiert das Boot Burano, das zur Rechten zu erspähen ist, dahinter liegt San Francesco del Deserto, eine einsame Klosterinsel. Bald sind zur Linken die ersten Molen von Sant'Erasmo, der lang gestreckten Gemüseinsel Venedigs, zu sehen. Also aufs nächste Boot hüpfen und weiterfahren. Dann Vignole - bitte aussteigen.
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Die Serenissima in Sichtweite.
Ruhig und beschaulich ist es hier, vom Trubel der Serenissima ist nichts zu spüren. Der Name der Insel Vignole bedeutet "sieben Weingärten". Doch im 19. Jahrhundert gaben die Inselbewohner den Anbau von Wein auf, zugunsten von Blumen für Venedig. Für Hochzeiten und Begräbnisse, für den Schmuck der vielen Kirchen. Heute noch sind überall noch Lorbeersträucher zu erkennen, deren Zweige für Gräber ebenso wie für die Häupter der Studienabsolventen verwendet wurden.
Die Wiederbelebung des historischen Weinprojekts von Emilio Trame auf Mazzorbo
Rund um 2008 ließ dann die Nachfrage nach Blumen nach. Zeit für Neues. Oder besser: für neues Altes. Emilio Trame steht vor seinem Haus, direkt an einem kleinen Kanal, und betrachtet mit stillem Lächeln die bunte Fassade. Sein Haus sei, so sagt er, eine typische "Casa lagunare", mit Wasser davor und Acker dahinter. Im Haus selbst ist der "Fogolar", eine gemauerte, offene Feuerstelle, der Mittelpunkt.
2010 kam der Architekt hierher, seine Familie lebt in vierter Generation in Venedig. Und nach der Pensionierung fand er dann endlich Zeit, sich dem Dorona-Projekt zu widmen - dem historischen Wein der Dogen. Mit der Geschichte dieser Rebsorte aus der Familie der Garganega - im umliegenden Veneto als "Dall'oro", "aus Gold", bekannt - ist Venedigs Lagune eng verknüpft. Seit dem 15. Jahrhundert, heißt es, sei die Traube von den Dogen, rund 1000 Jahre lang die Herren der Stadt, wegen Geschmack und - wen wundert's - der goldenen Farbe hoch geschätzt worden. Erst kürzlich wurde die Rebsorte wiederentdeckt und als Versuchsweingarten auf Mazzorbo ausgepflanzt.
Auch Emilio Trame legte den ersten kleinen Weingarten zum Ausprobieren an. Aber so ganz einfach war es dann doch nicht. Um Rebstöcke zu setzen, war laut Gesetz ein "Pflanzrecht" erforderlich, und da kam der Friulaner Marco Perco ins Spiel. Als renommierter Winzer hatte er das Pflanzrecht, und er fand Trames Projekt durchaus reizvoll.
Ganze 17 Einwohner hat die Insel heute, auf dem von Trame erworbenen Stück Land hat er erst 2500, dann 3000 Reben gesetzt, auf insgesamt fast vier Hektar Grund. Mit ausladender Geste deutet Emilio Trame auf die Nachbarfelder. Der Weingarten ist umgeben von Artischockenfeldern, gedeiht doch hier das von Slow Food ausgezeichnete "Violetto di Sant'Erasmo e Vignole", ein herkunftsgeschütztes und delikates Distelgemüse. Daneben: Bienenstöcke. "Das gibt einen guten Honig, mit kräftiger Bitternote."
Im vergangenen Frühling war es so weit: Der erste Jahrgangs des Dorona-Weins wurde verkostet. "In unserem Weingarten sind die ältesten Trauben-Gene zu finden, gut 200 Jahre alt. Daher sind wir auch dem Dogenwein am nächsten", sagt Marco Perco mit Stolz. Und selbstverständlich werde alles biologisch bewirtschaftet, wie er es auch seit vielen Jahren in seinem Weingut "Roncus" in Capriva del Friuli macht, schon aus Respekt gegenüber den benachbarten Gärtnern. "Die waren erst beunruhigt, als der Weinbau begann, aber sie haben gesehen, dass wir gut arbeiten."
Nach der Lese bleibt der Wein sechs Stunden auf der Maische bei Zimmertemperatur, vinifiziert wird mit Spontangärung und Naturhefe. "Also ein bisserl wie Sauerteig", sagt Emilio Trame und grinst. Das kommt nicht von ungefähr, er verwendet die Hefe des Weins auch zum Backen - und macht saftige, knusprige Brotlaibe daraus.
Aber zurück zum Wein. Der Stil, so sind sich alle drei Herren einig, soll nicht international sein, sondern typisch Vignole. "Dorona ist keine parfümierte Traube, der Wein nimmt den Geschmack des Terroirs an und hat wenig Alkohol." Dennoch hat der Tropfen eine ausgeprägte Würze, das Salz wirkt wie ein Geschmacksverstärker. Niemand hier stelle den Anspruch, einen großen Wein zu erzeugen, aber, so sagt Marco Perco: "Wir wollen, dass dieser Wein im Gedächtnis bleibt."
"Il Dorone delle Vignole" gibt's in zwei Ausführungen: den ungefilterten "Barena", was so viel wie Sandbank bedeutet, und den gefilterten "Altana", das bedeutet Turm. Ausgebaut wird derzeit in Betontanks und zwar in Venedig, wegen des DOC-Labels. Und ein dritter Wein ist bereits in Planung, der wird dann - für eine zusätzliche Portion Venedig - in Glasamphoren aus Murano ausgebaut. Ein bisserl Folklore muss schon sein.
Nur eine Zutat wird von der anderen Seite des Stiefels geholt: der Korken. Giuseppe Mariano aus dem Norden Sardiniens kümmert sich um die Lieferung des kostbaren Naturmaterials und schildert auch gleich im Eiltempo die aufwendige Prozedur. "Es braucht viel Aufmerksamkeit, um einen guten Korken zu produzieren." Bis zu 30 Jahre braucht eine junge Korkeiche, um eine Rindendichte zu entwickeln, die man verwerten kann. Danach heißt es für jede weitere Ernte zwölf Jahre warten. Geerntet wird im Sommer, alles von Hand. Dann wird der Kork gekocht, bedampft, getrocknet, gereinigt und schließlich gestanzt. Eine Arbeit, die fast ausschließlich von Frauen gemacht wird. Der Dogenwein wird also mit feinstem Kork verschlossen.
Der Weingarten und die Kellerarbeit jedoch sind in festen Männerhänden. Emilio Trame, sein Schwiegersohn Francesco Ghisini und Marco Perco kümmern sich um das Projekt. Zwischen den Arbeitsstunden gibt's venezianische Hausmannskost, Tintenfisch, von Emilio persönlich in der Küche seiner kleinen Casa lagunare zubereitet: "Seppie in nero", eine dicke Scheibe knuspriges Brot und natürlich ein Glas Wein dazu. Da würde auch ein Doge nicht Nein sagen.