Das Gailtal ist eine idyllische Ecke Kärntens. Grüne Matten und Almen, schöne Wälder und Gipfel, all das, wenn das Adriatief im Winter die weiße Ladung abschüttelt, oft tief verschneit. Die Süße des Sommers ist dann dennoch nicht vorbei, dafür sorgt allein schon das erste grenzüberschreitende Presidio von Slow Food - die Kletzenbirne.
"Die Idee war von mir." Leopold Feichtinger zieht die Stirn ein wenig kraus und lächelt. "Wir haben auf alten Streuobstwiesen zusammengeklaubt. Diese Flächen will ja keiner mehr bewirtschaften, weil sie eben kleinteilig sind und mit Maschinen kaum zu bearbeiten. Ein Relikt aus vergangener Zeit."

Feichtinger ist Bauer im Kärntner Gailtal. Noch nicht sehr lange. Nach einem Exkurs im Demeter-Weinbau war dem jungen Biologen und seiner Frau Uli klar: Etwas Eigenes muss her. Heute grasen auf den Streuobstwiesen ihres rund 100 Jahre alten Hofs in Kraß bei Hermagor Krainer Steinschafe, eine alte Haustierrasse. Der Jungbauer hat schon seit einiger Zeit ein Auge auf die Kletze geworfen, eine fast vergessene Birne, die auf den Streuobstwiesen Kärntens zu Hause ist. Dort wurde, so Feichtinger, früher sogar Obst für den Wiener Markt produziert. Lang ist's her.

Heute ist das Fallobst unbeliebt. Vor allem diese Art von Birnen, die man nicht gleich essen kann. "Man muss warten, bis sie vom Baum fallen", erklärt Feichtinger. Doch auch dann geht's noch nicht weiter. Geduld. Erst müsse die Birne nachreifen, bis sie außen noch normal, innen aber bereits "gatschig" sei. Die Gailtaler nennen das "mole". Zu lange darf die Birne jedoch auch nicht liegen. Also am besten jeden Tag nachschauen und klauben gehen. Eine aufwendige Angelegenheit. Und dann, so Feichtinger, gebe es quasi nur zwei Möglichkeiten der Verarbeitung. "Entweder dörren oder einmaischen." Er schmunzelt. Trockenfrucht oder eben Schnaps. Beide gute Energielieferanten im Winter.
Wenn der Frühling ins Land zieht, sind sie gut zu erkennen, die hübschen, hochstämmigen Bäume, die in ihrer Blüte wie übergroße, vergessene Golfbälle auf dem grünen Rasen sitzen. Feichtinger ruft jetzt auf, diese alten Bäume auf den Streuobstwiesen bei ihm zu melden, um gemeinsam mit dem Verein Arche Noah den Bestand zu ermitteln und zu sichern. Schon jetzt liefert er den süßen Füllstoff für die begehrten Kletzennudeln an Ingeborg und Gudrun Daberer im Gasthof Grünwald.

Seit rund einem Jahr hat er nun einen Helfer. Philipp Bodner, Pomologe an der Universität für Bodenkultur, erinnert sich: "Leopold hat im Institut angefragt, ob jemand eine Diplomarbeit über Kletzen im Gailtal schreiben kann." Bodner, Osttiroler mit Affinität zu Kärnten, sagte zu. Und begann zu ermitteln, was denn eigentlich so als Kletzenbirne gelte. "Fast 20 Sorten sprechen die Menschen hier noch als Kletzenbirne an, darunter die Speckbirne, die Weinbirne oder die Rote Pichlbirne." Statt einer Birnensorte schlechthin also eine beeindruckende Vielfalt.
Beim Betrachten des Baumbestands sehe es jedoch traurig aus, sagt der Student. Dass nach wie vor Kletzenbirnbäume gefällt werden, hat mehrere Gründe. Die überreifen, im Gras liegenden Birnen sind vielen Obstgartenbesitzern lästig, Birnenholz hingegen ist ein gesuchter Rohstoff. Der Bestand wird auch von der Überalterung der Bäume bedroht, ein Großteil ist zwischen 100 und 150 Jahre alt. "Gemeldet wurden bis jetzt rund 100 Bäume; wo früher pro Hof mehrere Kletzenbirnbäume zu finden waren, steht heute meist nur mehr einer", berichtet Philipp Bodner von seinen Erhebungen. Die Schritte, die nun unternommen werden, sind das Nachziehen der Sorten in der Baumschule, das Anlegen von Sortengärten und auch die Revitalisierung der alten Bäume durch gezielten Schnitt.

Die Arbeit der Kärntner gemeinsam mit dem friulanischen Gemüsezauberer Luigi Faleschini, auch er ein Streiter für vergessene und seltene Gemüse- und Obstsorten, hat nun Erfolg gezeigt, die Kletzenbirne wurde zum ersten grenzüberschreitenden Slow-Food-Presidio. Also ganz offiziell geschützt und erhaltenswert. Ist sie doch eine echte Alpen-Adria-Spezialität und einer der zahlreichen Gründe für köstliche Grenzgänge hier im Dreiländereck Kärnten-Slowenien-Italien.
Die bekanntesten Varianten: die süßen Gailtaler Kletzennudeln und die friulanische Ravioli-Variante Cjarsons - wurden doch entlang der k. u. k Bahnstrecken im Friaul einst viele Birnbäume gepflanzt. Drüben beim slowenischen Nachbarn, im malerischen Soča-Tal, sind die mit dem Dörrobst gefüllten Bovški krafi beliebt, die Bovecer Krapfen sozusagen, ein vor allem weihnachtlicher Leckerbissen.

Gedörrt wurde früher auf ganz unterschiedliche Arten: unter Dachstühlen auf Kisten und Gittern, im Gailtal jedoch meist in den Stuben selbst. Denn die großen Kachelöfen wurden zum Brotbacken eingeheizt, wenn die Brotlaibe fertig waren, war die bereits sanftere Resthitze genau richtig für die Kletzen, die stets im Ganzen getrocknet wurden. Eine lange, oft Tage dauernde Angelegenheit. "Nach dieser schonenden Trocknung zwischen 60 und 80 Grad kann man sie auch direkt essen, denn sie haben noch ihre Restfeuchtigkeit", sagt Philipp Bodner. Produziert wurde früher für den Hausgebrauch, dann nicht einmal mehr das. Die süße Fülle für die hier so beliebten Kletzennudeln kommt oft nicht mehr aus Kärntner Produktion.
"Durch das neue Presidio wollen wir versuchen, diesen Prozess umzukehren", sagt Leopold Feichtinger als Sprecher der grenzüberschreitenden Initiative. Er denkt über eine Gemeinschaftsdörre nach für mehr Wertschöpfung und ist offen für neue Produzenten. Jeder könne sich melden, der die Produktionsvoraussetzungen erfülle. "Je mehr, desto höher die Erfolgsquote."
TIPPS & ADRESSEN
Gasthof Grünwald, St. Daniel, eine der ersten Adressen, wenn es um Kärntner Nudeln und Slow Food geht, www.gruenwald.dellach.at
Feichtingers Echt Kraß Biohof, Kraß bei Hermagor, echtkrass.at
Slow Food Travel, Besuch bei feinen Produkten und denen, die sie herstellen, www.slowfood.travel/de, www.slowfood-kaernten.at