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Vegan leben - ist das gescheit? Ein Schlagabtausch der Argumente

Schlagabtausch. Vegan oder nicht vegan? Argumente für den Veganismus gibt es viele. Stimmen sie alle?

Fleisch aus Massentierhaltung, wie es in Österreich massenhaft verzehrt wird, ist nicht gut - weder für die Umwelt noch für das Tier, und auch nicht für den Menschen. Das sagen mittlerweile nicht nur Veganer. Doch warum lehnen Veganer auch Biobauernhöfe - mit ihrem Tierbestand - ab?

Die vegane Lebensweise ist en vogue. Besonders unter den besser gebildeten Jungen, und besonders in Wien und den Landeshauptstädten, wo der nächste Bauer meist weit entfernt ist. Gleichzeitig tobt aber auch die Kontroverse um vegane Ernährung, sagen wir mal, recht heftig. Daher erscheinen nun Bücher wie jüngst "Vegan ist Unsinn", in dem Autor Niko Rittenau Argumente gegen den Veganismus zu entkräften versucht.

An solchen Vorurteilen gegen den Veganismus hat es keinen Mangel - etwa: Milchkonsum schadet den Tieren nicht, Veganismus ist unnatürlich, der Mensch ist Allesesser, vegane Ersatzprodukte sind pure Chemie, Veganismus fördert Essstörungen, Veganismus ist eine Religion - und last, but not least: echte Männer brauchen Fleisch!

Fleisch essen oder kein Fleisch essen - was ist böser?

Veganer hingegen bringen als Argument für die grün-bunte Ernährung oft vor, dass Nutztiere ja Getreide benötigen - und dass man mit diesem Getreide eine viel größere Menge Menschen satt machen könnte.

Die Ökotrophologin Ulrike Gonder behauptet hingegen, dass die Idee, mehr Getreide oder mehr Soja für eine wachsende Menschheit anzubauen, weder das Welthungerproblem löse noch die Umwelt schone. "Rinder, Ziegen und Schafe sind Weidetiere und standen nie in Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Jene Tiere essen das, was Menschen nicht nutzen können. Nämlich die Zellulose der Gräser, und wandeln sie in hochwertige Nahrung um", so Gonder.

Sie führt weitere Argumente gegen die vegane Ernährung an: Von fünf Milliarden Hektar urbarem Land weltweit seien 3,4 Milliarden Hektar Weideland. Also für Ackerbau ungeeignet. Wenn dieses Weideland in Ackerland umgewandelt würde, oder Wälder abgeholzt würden, um Äcker zu schaffen, sei die Folge oft Erosion, Versalzung, letztlich Verwüstung.

Renato Pichler, Präsident des schweizerischen Vegan-Verbands Swissveg, stört sich dagegen sehr an der Behauptung, dass über die Hälfte des urbaren Landes für den Ackerbau ungeeignet wären. "Diese Behauptung ist falsch. Nur weil heute sehr viel Land für Weideflächen genutzt wird, bedeutet dies nicht, dass dieses Land nicht für Ackerbau geeignet wäre."

Ein Großteil der heutigen Landflächen könnte auch für den Anbau von Essen genutzt werden, so Pichler. "Wenn auf einem Land keine Pflanzen wachsen, wächst auch kein Gras, und damit ist das Land als Weide nutzlos." Bei Böden, die sich angeblich nicht zu Ackerflächen eigneten, weil zum Beispiel ein zu trockenes Klima herrsche, fördere das Abweiden die Versteppung, hält Pichler dagegen. "Dadurch wird fruchtbares Land vernichtet", klagt Pichler. "Würde man diese kargen Flächen hingegen mit Obstbäumen aufforsten, hätte man innerhalb einiger Jahre ein viel besseres lokales Klima und könnte über Jahrzehnte ernten, statt nur wenige Jahre ein paar Ziegen weiden lassen, bis nichts mehr dort wächst.

In einem Veganz-Supermarkt für vegane Ernährung in Berlin. Eine junge Frau betrachtet Ersatzanalogkäse im Kühlregal.
In einem Veganz-Supermarkt für vegane Ernährung in Berlin. Eine junge Frau betrachtet Ersatzanalogkäse im Kühlregal.

Leidet die Gesundheit unter Fleischverzicht?


Andere Kritiker des boomenden Veganismus führen die menschliche Gesundheit an, die mit einer ausschließlich veganen Ernährung auf Dauer leide - und tatsächlich gibt es viele Menschen, die nach einer Vegan-Phase wieder zur hergebrachten Ernährung mit Fleisch, Fisch und Milchprodukten zurückkehren.

Eine Hauptmotivation, und das nicht ganz unberechtigt, ist bei Veganern die qualvolle Massentierhaltung, die nicht nur den Tieren schadet, sondern auch der Umwelt, dem Klima und nicht zuletzt dem Menschen, der diese minderwertigen Produkte verspeist. Also ein Spiel, das nur Verlierer produziert.

Hier aber kommt andererseits der Biobauernhof ins Spiel, der fast immer mit Tieren als einem integralen biologischen Bestandteil arbeitet. Denn auf dem normalen Biobauernhof wird Dung für Pflanzen benötigt. Man setzt auf einen nachhaltigen, geschlossenen Kreislauf und möchte keinen Dünger von außen einkaufen. Deshalb heißt es oft: Biolandbau und Veganismus schließen sich aus.

Biobauernhöfe, die "Nachfahren" der Kleinbauernhöfe, greifen - so argumentieren Biobauern - auf eine jahrtausendealte nachhaltige Wirtschaftsweise zurück, die immer Nutztiere einschließt, die geschlachtet werden. Wegen des Dungs sind Nutztiere auf Kleinbauernhöfen zwingend notwendig. Sollen alle Bauernhöfe auf vegane Bauernhöfe umgestellt werden, was passiert dann mit den Tieren?

Hier antwortet etwa Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund: "Nach wie vor wird die Tierhaltung in der Biolandwirtschaft als unverzichtbar betrachtet, um Bodenfruchtbarkeit zu erreichen und zu bewahren. Doch dies entspricht nicht den aktuellen Möglichkeiten", sagt Pommerening. Sie verweist auf ökologische Landschaftspioniere, die längst pflanzenbasierte Düngemethoden entwickelt hätten: Mina Hofstetter (1883-1967) aus der Schweiz etwa, oder die Deutschen Adolf Hoops (1932-1999) und Kurt Kretschmann (1914-2007). Die pflanzenbasierte ökologische Landwirtschaft teile die Prinzipien und Werte der klassischen Ökobauern, schließe aber die Tierhaltung aus.

Öko-Pionierin Mina Hofstetter.
Öko-Pionierin Mina Hofstetter.


Und die Tiere? Pommerening: "In einem Szenario, in dem die Landwirtschaft ausschließlich biozyklisch-vegan funktioniert, könnte man die Tiere, die jetzt als Nutztiere gehalten werden, artgerecht bis zu ihrem natürlichen Lebensende begleiten."

Franziska Rutscher, die beim Ökodorf Brodowin in Brandenburg beschäftigt ist, das nach Demeter-Prinzipien arbeitet, sagt:
Vegane Landwirtschaft habe generell gute Argumente auf ihrer Seite, die aber noch nicht grundlegend erforscht seien. "Böden", so Rutscher, "müssen nicht nur fünf bis zehn Jahre, sondern dauerhaft fruchtbar bleiben. Und hier fehlen Datenmengen." Umweltschäden durch Nutztiere, erklärt Rutscher, wären erst durch die Industrialisierung und Massentierhaltung aufgekommen. Kleine Höfe und maßvoller Fleischkonsum, wie er früher üblich war, stellen nach Rutschers Überzeugung kein Umweltproblem dar.

"Extrem nicht überall notwendig"

"Für uns geht es nicht nur um die Frage, ob etwas wie die total vegane Ernährung aller Menschen möglich wäre. Sondern auch, ob es in diesem Extrem überall notwendig ist", sagt Rutscher. "Für uns in Brodowin ist klar, dass wir gute Tierhaltung im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft betreiben, unsere Natur pflegen und Böden nicht auslaugen."

Rutscher stellt eine Option in den Raum: Es wäre doch erstrebenswert, erst einmal alles auf Bio umzustellen. Das würde automatisch regulieren und den Preis erhöhen und somit den Konsum reduzieren. "Wir halten es für vernünftiger, immer Schritt für Schritt zu denken und realistisch zu planen, hält sie den Veganern entgegen. Viele Menschen bräuchten sanfte Übergänge zur Gewöhnung. Veganismus ist vielen zu radikal." Die Haltung von Schweinen sieht Rutscher allerdings kritisch. "Das funktioniert höchstens über kleine Höfe, wo die Schweine Abfälle fressen."

Wiederkäuer hingegen, so Rutscher, würden in kleinem Maßstab funktionieren und vor allem im regionalen Kontext. "Wir halten nur so viele Tiere, wie unser eigener Hof auch versorgen kann."

Vegane Wurst – hier im Messezentrum Salzburg.
Vegane Wurst – hier im Messezentrum Salzburg.


Was die Biodiversität angehe, könne Tierhaltung sogar gewinnbringend sein, sagt die Landwirtin. Der Mist der Brodowiner Kühe sei essenziell, um die Insektenvielfalt zu erhalten und zu fördern, hat man in Brodowin herausgefunden. Dies wird im Moment von der Universität Kassel und dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung auf den Kleegrasflächen rund um den Hof wissenschaftlich untersucht. Durch die Zersetzung des Kuhdungs durch Pilze, Bakterien und Regenwürmer werden Bodenleben und Bodenfruchtbarkeit gefördert. Außerdem ist der Kuhdung die Lebensgrundlage vieler Insekten.

Der Kampf der beiden Gruppen ist noch längst nicht bis zum Ende ausgetragen.