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Im Gehen zu innerer Ruhe und Erkenntnis finden

Wenn man es zulässt, kann im Prozess des Gehens viel mehr passieren, als nur von A nach B zu kommen. Die "Geh dich frei"-Methode lehrt, wie sich durch bewusstes Gehen die eigene Wahrnehmung ändern und der Weg zu einer neuen Art der Selbsterfahrung geöffnet werden kann.

Im Gehen können viele ungeahnte Möglichkeiten liegen.
Im Gehen können viele ungeahnte Möglichkeiten liegen.

Regina Hauser ist Sonderpädagogin und Begründerin der Methode "Geh dich frei". Sie ist überzeugt, dass Menschen dabei eine intensive Energiebewegung erfahren, die zu großer Klarheit und innerer Sicherheit führen kann.

SN: Sie beschreiben das Gehen als eine körperorientierte Form des Coachings, bei dem sich eine neue Selbsterkenntnis entfalten kann. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Regina Hauser: Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Wirkung des Gehens für sich zu entdecken und zu erleben. Für Personen, die diesbezüglich unerfahren sind, empfehle ich die Teilnahme an einer Gruppensitzung. Dort wird das Thema, das einen Teilnehmer beschäftigt und bei dem er nicht weiterkommt, gegangen. Das bedeutet, entweder er selbst oder ein anderer Teilnehmer versetzt sich im Gehen in dessen Rolle und fühlt sich in das Thema ein. Durch diesen Perspektivenwechsel entsteht eine neue Wahrnehmung und es können Erkenntnisse auftauchen, die zur Lösung des Problems beitragen.

SN: Das erinnert ein wenig an das Prinzip der systemischen Familienaufstellung, die man aus der Psychotherapie kennt.
Das Gehen nutzt wie das Familienaufstellen das wissende Feld, ein geistig-energetisches Heilungsfeld. Durch das Gehen in diesem wissenden Feld bekommen die Gehenden Zugang zu einem ständig präsenten Wissen. Dadurch, dass eine andere, fremde Person in die eigene Rolle schlüpft - ähnlich wie bei der systemischen Aufstellung -, werden die Grenzen, die uns sonst von Körper, Ego, Zeit und Raum vorgegeben sind, aufgelöst und Platz für neues Bewusstsein geschaffen. Durch die Bewegung, das Gehen im Raum, wird dieser Prozess noch unterstützt: Die Erfahrung des Weges trägt dazu bei. Durch das Gehen wird das Thema innerlich und äußerlich in Bewegung gebracht.
Anders als bei der systemischen Aufstellung wird hier kein Bezug zum Familiensystem hergestellt und es ist grundsätzlich in die Zukunft ausgerichtet.

SN: Das heißt, dass durch diese Methode Erkenntnisse zutage gebracht werden, die eigentlich ohnehin schon in uns schlummern, die uns aber nicht bewusst sind?
Genau. Der Körper weiß es oft vor dem Geist. Bei der Geh-Methode begibt man sich auf eine andere Bewusstseinsebene. Der eigene Handlungsspielraum wird verändert, Intuition und Empathie verbinden sich. Das Gehen bringt schnell und einfach die Antworten, viele Menschen sind erstaunt, wie schnell sich das Aha-Erlebnis einstellen kann.

SN: Bei Ihrer Methode heißen diejenigen, die das Problem eines anderen gehen, Stellvertreter. Müssen diese Personen irgendeine besondere Begabung haben?
Nein. In der Regel sind sie sofort in der Rolle drinnen und werden durch den Input der Gruppe und der Gruppenleitung auch in dieser Rolle gehalten. Es ist immer leichter, ein Problem von jemand anderem gehen zu lassen, als es selbst zu tun - denn dann hat man die Chance, von außen auf das Thema draufzuschauen. Und auch der Stellvertreter profitiert von seinem Tun. Er wird von dem Geschehen beim Gehen berührt, ob er will oder nicht - es ist daher auch eine Art von Empathietraining.

"Probleme und Fragen werden sprichwörtlich ’angegangen’."
Regina Hauser
Gründerin: Geh dich frei

SN: Für wen eignet sich diese Form der Selbstfindung?
Das Gehen nach der "Geh dich frei"-Methode eignet sich für alle, die bei einem Thema nicht weiterkommen. Wenn sie dem Körper und dem Geist freien Lauf lassen, kommen Dinge plötzlich ins Rollen. Denn Probleme sind nie auf der Ebene zu lösen, auf der sie entstehen. Vielmehr gibt es Möglichkeiten, sich selbst und sein Umfeld neu zu begreifen - die "Geh dich frei"-Methode ist eine davon.
Auch Firmen können von der Methode profitieren: Hier fällt oft der lange Entscheidungsprozess weg, weil viel schneller klar wird, worum es geht.

SN: Gibt es auch Menschen, die sich in dieser Methode nicht wiederfinden?
Ich habe in meinen Seminaren schon viele Zweifler gehabt. Aber selbst die waren nach ein paar Minuten so in der Rolle drinnen, dass sie ihre anfänglichen Bedenken ganz schnell loslassen konnten. Oft kommen auch Personen zu mir, deren Kinder sie zu dem Schritt gebracht haben, weil sie es selbst nicht getan hätten. Im Nachhinein sind sie immer froh um dieses Erlebnis.

SN: Wie und wann haben Sie persönlich das Potenzial des Gehens für sich entdeckt?
Ich bin immer schon gerne gegangen, um den Kopf frei zu bekommen und Abstand von gewissen Dingen zu erlangen. Durch mehrere persönliche Krisen und schwere Schicksalsschläge ist mir die unglaubliche Kraft, die im Gehen liegt, bewusst geworden. Ich habe plötzlich alles im Leben verändert, habe Schritte gemacht, die mich weitergeführt haben, ohne darüber nachzudenken, ohne wirklich bewusst zu sein, wohin mich diese Schritte führen. Nach einigen Seminaren in Berlin, die sich mit der Geh-Methode beschäftigen, habe ich gewusst, dass hier meine Berufung liegt. Daraufhin habe ich ein Konzept erarbeitet und das "Geh dich frei"-Institut gegründet.

SN: Hat die Pandemie die Themen in Ihren Seminaren beeinflusst?
Corona ist kein vordergründiges Thema in meinen Sitzungen. Es geht vielmehr um persönliche Themen der Teilnehmer, also darum, was man persönlich wirklich braucht und was wirklich wichtig ist im Leben.

SN: Welche Gefühle und Reaktionen beobachten Sie bei ihren Klienten nach dem Geh-Erlebnis?
In erster Linie Klarheit und Erleichterung. Und auch Ungläubigkeit, dass die Lösungsfindung schnell ging und dass es eigentlich ganz einfach ist.

Zur Person
Regina Hauser ist diplomierte Sonderpädagogin, Legasthenietrainerin und Mediatorin. 2014 gründete sie das "Geh dich frei"-Institut. Über die "Geh dich frei"-Methode zur Selbsterfahrung veröffentlichte sie das gleichnamige Buch im Goldegg-Verlag (ISBN 978-3-99060-174-7).

Das Buch von Regina Hauser zum Thema.
Das Buch von Regina Hauser zum Thema.

Meditation im Gehen
Außer den "Geh dich frei"-Seminaren bietet Regina Hauser auch Gehmeditationen an. Anders als bei der klassischen Sitzmeditation wird hier im Gehen praktiziert. Dadurch wird ein gewisses Thema innerlich und äußerlich in Bewegung gebracht: "Meditation heißt, sich bewusst und achtsam seinem Inneren zuzuwenden. Idealerweise verschmelzen Körper und Geist bei jedem Schritt etwas mehr." Bei der Meditation im Gehen spielt die Umgebung eine wesentliche Rolle. "Es beeinflusst mich, ob ich in der Stadt an einer befahrenen Straße gehe oder in der Natur", sagt Hauser. Wer Ruhe und Klarheit sucht, der sei im Wald sehr gut aufgehoben.