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Als Lehrling Europa erkunden

Viele denken bei Erasmus+ ans Studieren. Auch als Lehrling kann man die Angebote wahrnehmen. Welche Chancen ein Aufenthalt im Ausland bietet. Und warum er trotzdem noch nicht weit verbreitet ist.

Ein Auslandsaufenthalt bietet Lehrlingen viele Chancen.
Ein Auslandsaufenthalt bietet Lehrlingen viele Chancen.

In jungen Jahren Erfahrungen im Ausland sammeln und sich weiterbilden - beruflich wie privat: Das EU-Programm Erasmus+ ermöglicht vielen jungen Menschen den ersten längeren Aufenthalt im Ausland. Für viele Studierende gehört ein Auslandssemester inzwischen selbstverständlich dazu, das Programm steht aber auch anderen offen. Die Kampagne "Lehre ohne Grenzen" der österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) will dafür sorgen, dass Auslandsaufenthalte auch für Lehrlinge zur Selbstverständlichkeit werden, statt Ausnahme zu bleiben. Denn noch immer absolvieren deutlich weniger Lehrlinge als Studierende einen Auslandsaufenthalt. Nach Zahlen der OeAD gab es in Österreich im Zeitraum von 2021 bis 2023 11.180 genehmigte Mobilitäten im Bereich der Berufsbildung, in den neben Schülern, Pädagoginnen und Ausbildnern auch Lehrlinge fallen. Im Bereich der Hochschulbildung wurden 30.321 Mobilitäten genehmigt.

"Auslandsaufenthalte für Lehrlinge sind weniger leicht zu organisieren, weil mehr Akteure beteiligt sind, die sich abstimmen müssen"

"Studierende in Bewegung zu bringen, damit sie Erfahrungen in anderen Ländern und Hochschulsystemen sammeln, war vor 35 Jahren der Anlass zur Errichtung von Erasmus. Natürlich hat sich vielfach in den Köpfen eine Gleichung ,Erasmus gleich Studium' gebildet", heißt es von OeAD-Geschäftsführer Jakob Calice dazu. "Auslandsaufenthalte für Lehrlinge sind weniger leicht zu organisieren, weil mehr Akteure beteiligt sind, die sich abstimmen müssen." Auch Christina Prohammer, stellvertretende Geschäftsführerin der Initiative "Internationaler Fachkräfteaustausch" (IFA) sieht Probleme der Verbreitung von Auslandsmobilitäten unter Lehrlingen vorrangig in deren Organisation. "Lehrlinge haben zwei Ausbildungsorte: Die Berufsschule und die Konzerne, die häufig gar nicht die organisatorischen Mittel haben, Auslandsaufenthalte zu organisieren und Förderungen zu beantragen." Der IFA organisiere als Servicestelle zur Förderung der Mobilität von Fachkräften deshalb nicht nur Förderungen, sondern plane auch ganze Auslandsaufenthalte.

"Etabliert sind Praktika für Lehrlinge in Salzburg aktuell nirgendwo, die Tendenz ist aber steigend "
Franz Heffeter
Vorsitzender des Vereins ALE - Arbeiten und Leben in Europa

Der Betrieb Ontime Logistics hat mithilfe des IFA die Förderung für einen Auslandsaufenthalt organisiert. Alexander Otten, der im Bergheimer Standort seine Lehre im Rahmen der Dualen Akademie absolviert hat, konnte zum Ende seiner Lehrzeit im Sommer 2022 zwei Monate in den USA verbringen. Bei einem Partnerbetrieb im Bundesstaat North Carolina sammelte er Erfahrungen und knüpfte Kontakte in der Branche: "Meine Selbstständigkeit und mein Selbstbewusstsein haben sich auf jeden Fall verbessert", sagt er. Auch für das Unternehmen habe der Auslandsaufenthalt einen Mehrwert gehabt, ergänzt HR-Managerin Andrea Erda: "Die Mitarbeiter bringen neue Eindrücke mit, die sie bei uns einbringen können."

Alexander Otten verbrachte im Rahmen eines Auslandspraktikums für seinen Betrieb Ontime Logistics in Bergheim zwei Monate in den USA.
Alexander Otten verbrachte im Rahmen eines Auslandspraktikums für seinen Betrieb Ontime Logistics in Bergheim zwei Monate in den USA.
Fabian Schmidleitner, Magdalena Weinberger, Johanna Lienbacher und Julia Schroffner besuchen die Berufsschule für Gartenbau in Klessheim und absolvierten Praktika in Südtirol.
Fabian Schmidleitner, Magdalena Weinberger, Johanna Lienbacher und Julia Schroffner besuchen die Berufsschule für Gartenbau in Klessheim und absolvierten Praktika in Südtirol.

Etabliert sind Praktika nicht, die Tendenz ist aber steigend

Auch der in Salzburg ansässige Verein ALE - Arbeiten und Lernen in Europa hilft Unternehmen bei der Organisation von Auslandsaufenthalten im Rahmen von Erasmus+. Pro Jahr entsendet die Organisation rund zehn Lehrlinge ins Ausland und organisiert die Förderung bei der EU, die für Betriebe oft einen hohen Aufwand darstellt. "Tatsächlich etabliert sind Praktika für Lehrlinge in Salzburg aktuell aber noch nirgendwo, die Tendenz ist aber steigend", sagt Obmann Franz Heffeter. Eine Gruppe von fünf Schülerinnen und Schülern der Berufsschule für Gartenbau in Kleßheim verbrachte heuer, durch ALE organisiert, erstmals ein Auslandspraktikum in Südtirol. Auch sie schätzen die Erfahrung: "Man lernt andere Systeme kennen, die ich auch in meinen Lehrbetrieb miteinbringen konnte", berichtet die 18-jährige Johanna Lienbacher. "Die Organisation ist viel Arbeit, aber es lohnt sich, wenn sich die jungen Leute freuen", sagt Direktor Franz Großhagauer. Viele Lehrlinge hätten zuvor nie längere Zeit im Ausland verbracht, der Aufenthalt präge nicht nur berufliches Wissen, sondern fordere auch die Selbstständigkeit. Auch in den kommenden Jahren sollen für Schülerinnen und Schüler der Gartenbauschule Auslandsaufenthalte möglich sein, die Zusammenarbeit mit den Partnerbetrieben in Südtirol soll intensiviert werden.

"Wir müssen zeigen, dass die EU nicht nur für Menschen, die im Ausland studieren wollen, etwas bringt sondern für alle"

Auch auf EU-Ebene wird ein Schwerpunkt auf den Ausbau der Lehrlingsmobilitäten gelegt. In der Initiative EuroApprencitives arbeiten ehemalige Teilnehmende an der Bewerbung von Lehrlingsaufenthalten. "Auf Ebene der Universitäten ist die Kooperation in der EU ausreichend und gut. Vor allem dank des Programms Erasmus+, das für alle Studierende einen großen Mehrwert bietet. Wenn wir uns aber die Kooperation auf niedrigeren Ebenen anschauen, ist diese nicht immer ideal", sagt Patrik Schwarcz-Kiefer, der 2020 als jüngstes Mitglied in den Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR) eingezogen ist.

"Es ist eine gute Richtung, auf universitärer Ebene alles zu erreichen, und das dann auch auf niedrigeren Ebenen durchzusetzen "
Patrik Schwarcz-Kiefer
Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen

Dabei sei gerade der Austausch mit anderen Bildungssystemen wünschenswert: "Ich wünsche mir, dass es ein größeres Thema wird, wie man alle Bürgerinnen und Bürger der EU mit konkreten Projekten erreichen kann. Wir müssen zeigen, dass die EU nicht nur für Menschen, die mobil sein oder im Ausland studieren wollen, etwas bringt, sondern für alle." Mit einer Knowledge Exchange Plattform will die EU Forscherinnen und Forscher nun enger mit Politikerinnen vernetzen, auch weitere Projekte zur Vernetzung sollen folgen: "Es ist eine gute Richtung, auf universitärer Ebene alles zu erreichen, was man so erreichen kann, und das dann auch auf niedrigeren Ebenen zu erreichen. Auf Ebene der Universitäten ist vieles - auch dank des Bologna-Systems - nun einmal leichter, da schon vieles vereinheitlicht wurde."

Auslandsaufenthalte bieten viele Chancen

Eine gesteigerte Mobilität von Lehrlingen sei aus vielfacher Sicht wünschenswert, der Austausch innerhalb der EU solle gesteigert werden. "Praktika im Ausland können nicht nur helfen, neue Perspektiven zu gewinnen, sondern auch Vorurteile abzubauen", sagt auch Franz Heffeter. Auch wirtschaftlich biete ein Auslandsaufenthalt Vorteile: "Letztlich gilt, einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren ist eine Aufwertung der Lehrlingsausbildung und ein kräftiger Turbo für die Wirtschaft", sagt Jakob Calice. Der OeAD hat 2021 einen 5-Punkte-Plan zur Erhöhung der Lehrlingsmobilität aufgesetzt: Bis 2027 soll sich die jährliche Zahl der Lehrlinge, die mit Erasmus+ ins Ausland gehen, verdoppeln.

Dieser Text entstand im Rahmen eines Workshops des Forum Journalismus und Medien Wien. Teil davon war eine Reise nach Brüssel, die vom AdR finanziert wurde.