Astrid von Stockar war mehr als 20 Jahre lang Journalistin und Produzentin beim Schweizer Fernsehen, bevor sie 2016 die Zahnpasta- und Lifestylemarke Swissdent als CEO übernahm. Seit November 2022 sind die Zürcher Unternehmerin und ihr Partner Clemens Gregor außerdem Eigentümer des Hotel Chesa Grischuna in Klosters. Im SN-Interview spricht von Stockar über unternehmerischen Mut, wie sie Swissdent neu positioniert hat - und warum es ein Fehler ist, auf Kompetenz zu vertrauen.
Sie waren mehr als 20 Jahre im Journalismus tätig. Wie ist es, auf der anderen Seite zu sitzen? Astrid von Stockar: Als Journalistin ist mir bewusst, dass Ja-, Nein-Antworten das Schlimmste sind. Und auch, dass Storytelling die Grundlage jedes Geschäfts, jeder Begegnung ist. Eines der ersten Dinge in der Übernahme von Swissdent war daher, die Geschichte dieser Firma zu erzählen. Wenn ich etwa von 100 Prozent made in Switzerland spreche, dann muss das bis hin zur Verpackung stimmen. Zuvor haben wir aus China irgendwelche Flaschen bestellt, die Kartons kamen aus Polen. Das habe ich dann tatsächlich alles in die Schweiz zurückgeführt.
Mit welchen Gedanken haben Sie sich getragen, bevor Sie die CEO-Position übernommen haben? Als Fernsehmacherin habe ich oft erlebt, dass Frauen nur dann in Sendungen kommen wollten, wenn sie sich im Thema zu 150 Prozent sattelfest fühlten. Ganz im Gegensatz zu Männern. Das hat mich immer geärgert. Als ich dann selbst vor der Entscheidung stand, die Geschäftsleitung von Swissdent zu übernehmen, ertappte ich mich dabei, wie ich mir genau diese typisch weiblichen Fragen stellte: Kann ich das? Habe ich genug Wissen? Also habe ich mich bewusst am Kragen genommen und mir gesagt: Du hast Wirtschaft studiert, du hast alle Grundlagen, du bist neugierig, du wirst es lernen. Bis jetzt habe ich diese Entscheidung nie bereut.
In Summe haben Sie drei Karrieren: beim Fernsehen, als CEO bei Swissdent und als Hotelierin. Was hat Sie dazu bewogen, die Medienbranche zu verlassen und Unternehmerin zu werden? Ich liebe den Journalismus nach wie vor - wegen meiner Neugier, der Menschen, ihrer Geschichten. Aber nach über 20 Jahren stellt sich eine gewisse Routine ein. Alles wiederholte sich, die Abläufe, die Sendungen. Man wird älter, aber sonst verändert sich nichts. Diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, einen klaren Schnitt zu machen. Statt Botox zu spritzen, habe ich mich neu erfunden - als Unternehmerin.
Wie ist es, als Frau an der Spitze zu stehen? Ich war oft die erste oder einzige Frau in einer Führungsposition. Das hervorzuheben war mir aber nie wichtig. Ich habe einfach meinen Stil durchgezogen und gemacht, was ich wollte. Das hat mir nie geschadet, im Gegenteil, ich wurde unterstützt. Diese Haltung habe ich auch an meine Tochter weitergegeben: Für sie ist es selbstverständlich, dass Frauen CEO sein können, ohne dass man das ständig betonen muss. Genau diese Selbstverständlichkeit ist entscheidend. Was ich allerdings kritisch sehe, ist, dass Frauen oft glauben, Kompetenz allein reiche, während Männer viel stärker auf Netzwerke und Seilschaften setzen. Frauen fördern sich untereinander zu selten - wenn es doch eine nach oben schafft, holt sie oft wieder Männer nach. Das muss sich ändern. Ich engagiere mich deshalb aktiv in Frauennetzwerken und unterstütze, wo ich kann.
Welche Werte sind Ihnen in der Unternehmensleitung wichtig? Gerechtigkeit, Direktheit und Transparenz sind für mich essenziell. Das war auch der erste Hebel, den ich in die Hand genommen habe, als ich die Firma übernommen habe. Zuvor wurde Information als Machtmittel missbraucht, Mitarbeitende voneinander abgeschottet. Ich habe das radikal geändert: Jeder - auch ich - muss bei Mails eine gemeinsame Adresse in cc stellen, damit alle mitlesen und informiert sind. In unserem Team von acht Personen funktioniert das hervorragend: Die Menschen bringen sich mehr ein, denken mit, bringen im wöchentlichen Meeting Ideen auch für Bereiche ein, die nicht direkt sie selbst betreffen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Marke diese Werte auch nach außen transportiert? Jede Marke, die bekannt wird, hat das Thema, dass Produkte auf Abwegen auf Billigportalen landen und verschleudert werden. Das versuche ich durch einen Code zu verhindern, den jedes Produkt hat und über den wir nachweisen können, wer die Ware ursprünglich von uns gekauft hat. Und dann sperren wir diesen Kanal. Ich schaue mir sehr genau an, wer die Partner sind, die uns in den einzelnen Ländern vertreten. Ich bin auch extrem konsequent, wenn es darum geht, mit welchen Ländern ich nichts zu tun haben will. Im Moment stehen die USA für mich genauso auf der roten Liste wie Russland: Da habe ich dem Distributor am Tag nach der Invasion der Ukraine den Vertrag gekündigt.
Gibt es noch einen vierten Karriereweg, den Sie einschlagen wollen? Mein Leben folgte nie einem starren Plan von A nach B - ich habe mir Ziele gesetzt, die nah genug waren, um mich wirklich zu motivieren. Ein Hotel mit Restaurant zu führen? Hätte ich vor zehn Jahren kategorisch ausgeschlossen. Aber dann kam die Chesa Grischuna, die ich als Gesamtkunstwerk retten wollte. Solche leidenschaftlichen Momente stehen oft hinter meinen Entscheidungen. Jeder Hotelgast putzt sich jetzt natürlich mit Swissdent die Zähne. So verweben sich die Karrieren. Eine vierte? Absolut möglich.
Was ist Ihr Rat für Menschen, die sich ebenfalls immer wieder neu erfinden wollen? Es braucht Mut und Geduld. Man muss sich mindestens zwei Jahre Zeit geben, bis eine Idee greift. Und das auch nur, wenn man voll fokussiert auf sie ist. Voraussetzung ist außerdem, dass du ein gewisses finanzielles Polster hast, damit du in diesen zwei Jahren nicht verhungerst.