Verena S. war Führungskraft im Sozialbereich. In ihrer Abteilung hatte sie 700 Personen unter sich, über das ganze Bundesland verteilt, in dem sie lebt. Zehn Jahre bestand ihr Leben daraus, frühmorgens im Büro zu sein, um oft erst gegen 20 Uhr zu Hause anzukommen, ohne dazwischen Pause gemacht zu haben. Es gab Urlaube, erzählt sie, die habe sie schlicht verschlafen, bei der Rundreise durch Vietnam zog die Landschaft ungesehen an ihr vorbei, weil sie im Bus eingenickt war; als sie ihre Freundin in New York besuchte, genoss sie die Skyline Manhattans von deren Wohnung in New Jersey aus, wenn sie nicht gerade schlief. Mit 46 Jahren traf sie die Entscheidung zu kündigen. Ihr Einsatz und Engagement zeigten gesundheitliche Folgen, sie konnte ohne Einnahme von Melatonin nicht mehr schlafen, bekam Panikattacken und Schuppenflechte. Fast ein Jahr hatte sie mit den Symptomen zu kämpfen. "Hätte es eine andere Führungskultur gegeben, die sich wertschätzend und nicht ausbeuterisch zeigt, wäre ich vielleicht geblieben", sagt Verena S.
Sie beantragte Bildungskarenz, um noch ein Studium als Human-Resources-Managerin dranzuhängen, das sie mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss. Um dann aber feststellen zu müssen, dass ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt durch die Höherqualifizierung nicht einfacher geworden war. Sie schrieb 150 Bewerbungen, bekam oft gar keine Antworten. Die Jobvermittlung durch das AMS erlebte sie als wenig zufriedenstellend. Obwohl sie zwei Studienabschlüsse in der Tasche hatte, wurden ihr Stellen im Frontoffice-Bereich übermittelt. "Ich musste mich bewerben, zwei pro Woche, sonst hätte ich für sechs Wochen die finanzielle Unterstützung verloren", sagt Verena S.
Höherqualifizierung? Braucht es nicht
Vom AMS wurden ihr keine Zusatzausbildungen bezahlt, ihre Anfrage, eine Weiterbildung im Nachhaltigkeitsbereich zu übernehmen, wurde mit den Worten abgelehnt: "Wir sehen dadurch keine höheren Vermittlungschancen", um wenige Tage später, bei einer Informationsveranstaltung des AMS, gesagt zu bekommen, dass gerade der Nachhaltigkeitsbereich so viele Jobchancen böte.
Auf der anderen Seite verstand sie es auch, wenn eine Absage kam. "Für die meisten normalen Jobs in meinem Bereich war ich einfach überqualifiziert." Und im HR-Bereich, wohin sie ursprünglich wollte, suche man junge Leute, wurde ihr hinter vorgehaltener Hand gesagt. So schärften sich auch ihre Jobvorstellungen. In Bewerbungsgesprächen, sofern sie eingeladen wurde, gab sie ihre Wünsche klar bekannt: keine Führungsposition, keine Budgetverantwortung, sie wolle nur einen Job, der ihr Spaß macht, und das ohne übertriebene Gehaltsvorstellungen. Die meisten Absagen trugen den Tenor: Überqualifizierung.
Sie begann, ihren Lebenslauf zu schrumpfen, gewisse Qualifikationen gar nicht zu nennen oder in Vorstellungsgesprächen Themen wie millionenschwere Budgetverantwortung, die sie im vorigen Beruf hatte, tunlichst zu vermeiden oder selbstbewusste Auftritte, die sie gewohnt war, leiser anzulegen. Verena S. landete dann in einer gemeinnützigen Einrichtung, zusammen mit Asylbewerberinnen und Langzeitarbeitslosen, wo man Näharbeiten verrichtete, die in der Organisation verkauft werden, bis sie nach eineinhalb Jahren des Suchens einen Job fand. Diese Zeit nagte an ihrem Selbstwertgefühl, das sie mithilfe einer Coachingbegleitung stabil halten konnte.
Arbeitsmarkt könnte mit Älteren entlastet werden
Die weiblichen Berufskarrieren haben erst in den 1970er-Jahren Fahrt aufgenommen. Viele Frauen nutzten damals die ihnen gebotenen Bildungschancen und erreichten einen innerfamiliären Bildungsaufstieg. Trotz ihrer akademischen Qualifikationen stießen sie jedoch häufig auf Hindernisse bei der beruflichen Umsetzung ihrer Ausbildung. Über den Zeitverlauf zeigte sich, dass viele Frauen Wendepunkte wie unerwartete Alleinerziehung oder gesundheitliche Beeinträchtigungen erlebten, die ihre berufliche Laufbahn beeinflussten. Der unentgeltliche Arbeitseinsatz privat und im Ehrenamt bleibt bis heute ungebrochen an den Frauen hängen.
Dabei könnten ältere Erwerbstätige laut Statistik Austria durchaus den Facharbeitermangel ausgleichen, dazu müssten sich jedoch die Rahmenbedingungen ändern. Obwohl die Erwerbsquote der 55- bis 64-jährigen Frauen in Österreich 2023 auf 57,3 Prozent gestiegen ist, liegt sie weiterhin unter dem EU-Durchschnitt von 62,3 Prozent. Ein zentrales Hindernis für eine verstärkte Integration älterer Frauen in den Arbeitsmarkt ist die hohe Teilzeitquote von über 50 Prozent. Seit 2014 ist die Erwerbsquote der 55- bis 64-jährigen Frauen um 13 Prozentpunkte gestiegen. Nur 5,6 Prozent der nicht erwerbstätigen Menschen zwischen 55 und 74 wollen auf den Arbeitsmarkt zurückkehren.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat sich genauer angesehen, wie sich die demografische Entwicklung auf die Situation älterer Arbeitskräfte bis 2040 auswirken wird. Dort zeigte sich, dass eine steigende Erwerbsbeteiligung - insbesondere von Älteren, Frauen und gesundheitlich beeinträchtigten Personen - notwendig ist, um wirtschaftliches Wachstum abzusichern. In einem Szenario wird bis zum Jahr 2040 ein Zuwachs von 176.000 Erwerbspersonen erwartet. Das wird geänderte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Rahmenbedingungen für Frauen bedeuten müssen, insbesondere zur Qualifizierung und Förderung älterer und gesundheitlich beeinträchtigter Personen. Auf der anderen Seite könnten gezielte politische Maßnahmen - etwa zur besseren Integration von Müttern oder durch Qualifizierung im zweiten Bildungsweg - das Arbeitskräftepotenzial zusätzlich deutlich erhöhen.
Bessere Bildungschancen, selten Aufstieg
Eine Studie des Instituts Sofia aus dem Jahr 2018, für die man sich die Bildungsaufstiege, Berufswege und Lebenssituationen von Akademikerinnen 50 plus genauer angesehen hat, schlägt auch in diese Kerbe. Sie betont die Notwendigkeit, die Ressourcen sowie Kompetenzen dieser Frauen zu erkennen und zu fördern und Rahmenbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu schaffen sowie Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu fördern.