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Frauen 50 plus: Herausforderungen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Können wir uns das denn leisten? Frauen über 50 werden auf dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt oder benachteiligt. Viele gehen auch aus dem Krankenstand in die Pension. Wie sähe ein optimaler Arbeitsmarkt aus, der diese Gruppe gut integrieren kann?

Ursula Löffler, Susanne Erhart, Jacqueline Beyer, Daniela Schwaiger arbeiten mit und für Frauen.
Ursula Löffler, Susanne Erhart, Jacqueline Beyer, Daniela Schwaiger arbeiten mit und für Frauen.

Wie geht es Frauen 50 plus? Über diese Frage wurden die Salzburger AMS-Chefin Jacqueline Beyer, Daniela Schwaiger, Projektleiterin "Frauen 45 plus" von Frau und Arbeit, Susanne Erhart von frauenanderskompetent und die Recruiterin und Psychotherapeutin Ursula Löffler gebeten zu diskutieren. Die letzten beiden merken an, sie seien unglücklich mit der Altersfestschreibung, nachdem die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau in Österreich 82 Jahre betrage. Und in diesen 32 Jahren dazwischen habe so viel Platz. "Es gibt ja auch keine Altersgruppe von 0 bis 32", sagt Erhart. "Abgesehen davon: Ist das die letzte Alterskategorie, die wir haben?", fragt Löffler. Wie müsste der Arbeitsmarkt bestellt sein, der Frauen ab 50 nicht das Gefühl vermittelt, zu alt zu sein, oder sie gar ausschließt?

AMS-Chefin Jacqueline Beyer möchte, dass die Bedürfnisse von Frauen ab 50 stärker thematisiert werden. Weil der Arbeitsmarkt künftig mehr als bisher auf sie angewiesen sein wird.
AMS-Chefin Jacqueline Beyer möchte, dass die Bedürfnisse von Frauen ab 50 stärker thematisiert werden. Weil der Arbeitsmarkt künftig mehr als bisher auf sie angewiesen sein wird.

Frau Beyer, wie geht es Frauen auf dem Arbeitsmarkt? Jacqueline Beyer: Heuer wurden im Wintertourismus bereits im März Frauen freigesetzt, wir haben innergebirg in dieser Branche eine Steigerung der arbeitslosen Personen von 66,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das passt nicht zusammen mit der Aussage, dass Fachkräfte dringend gesucht würden. Dass Menschen mit Einstellzusage bei uns sozusagen geparkt werden, ist normal, das sind pro Jahr rund 3000 Personen, wir alle finanzieren das. Dabei treten zwei Fragen auf: Können wir uns das überhaupt leisten und was ist, wenn uns im Zentralraum Beherbergung und Gastronomie wegbrechen? In dieser Branche arbeiten vor allem Frauen, genauso wie im Handel. In beiden Branchen haben wir ein großes Minus bei offenen Stellen, und das wird vermutlich so bleiben.

Wie sieht es bei Frauen über 50 aus? Beyer: 23,3 Prozent der bei uns vorgemerkten Frauen haben gesundheitliche Einschränkungen, ab 50 sind es bereits 43,4 Prozent. Ein Teil hängt mit der Menopause zusammen, es wird Zeit, dass dieses Thema enttabuisiert wird. Wir werden dazu im nächsten Jahr mit einem Forschungsprojekt starten. Beim AMS arbeiten etwa 7000 Menschen in ganz Österreich, etwa 70 Prozent davon sind Frauen. Wir bieten bereits jetzt Workshops an, wie Frauen gestärkt aus der nicht immer einfachen Zeit der Wechseljahre kommen können. Die meisten Frauen sind außerdem von der Mental Load, also der gesamten Denkarbeit, die notwendig ist, um das Familienleben oder die Pflege zu organisieren und zu planen, belastet. Es braucht andere Rahmenbedingungen, damit Frauen bis 65 Jahre gut arbeiten können.

Susanne Erhart von frauenanderskompetent ist der Meinung, dass Frauen lange genug Flexibilität bewiesen haben und dass nun die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten sind.
Susanne Erhart von frauenanderskompetent ist der Meinung, dass Frauen lange genug Flexibilität bewiesen haben und dass nun die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten sind.

Frage an die anderen Damen: Wie geht es Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus Ihrer Perspektive? Susanne Erhart: Nachdem gerade wieder über die Erhöhung des Pensionsantrittsalters gesprochen wird, müssen wir uns die Sache genauer ansehen. Da gibt es Frauen, die ihr ganzes Leben lang ihre Jobs machen, um ihre Familien durchzubringen, bis hin zu jenen, die ihren Traumberuf ausüben und ihre Ziele leben können. Es gibt auf der einen Seite Frauen, die mit Motivation und Wertschätzung in den Betrieben gehalten werden können, sollte das Pensionsalter steigen. Und dann gibt es einen großen Anteil an Frauen, die mit 58 körperlich wie psychisch fertig sind, weil sie immer schwer gearbeitet haben, unter schwierigen Bedingungen, von Träumen war da selten die Rede. Wenn nun das Pensionsalter erhöht wird, muss man auch fair nach den Bedingungen fragen: Die einen können nicht mehr, die anderen würden unter gewissen Voraussetzungen schon noch wollen. Die aber benötigen andere, flexiblere Arbeitszeitmodelle beziehungsweise: Wir brauchen ein anderes, altersgerechtes Arbeiten.

Es braucht Lösungen, um Frauen lang und gesund auf dem Arbeitsmarkt zu halten.
Es braucht Lösungen, um Frauen lang und gesund auf dem Arbeitsmarkt zu halten.

Es geht also weniger ums Wollen, sondern mehr ums Können? Erhart: Ja, und wenn Frauen bis 67 arbeiten sollen, wird es schwierig. Wie soll ich eine Reinigungskraft mit niedrigem Bildungsstand, die mit 58 schon körperlich fertig ist, noch umschulen? Wir müssen da differenzieren, ob man bei vielen Menschen von der Pensionskasse in die Arbeitslosenkasse umschichtet oder von der Arbeitslosenkasse in die Pensionskasse. Meine Erkenntnis als Resilienztrainerin ist die, dass es einen Return on Investment von 1 zu 5 gibt, wenn sich Firmen mit dem Thema Resilienz auseinandersetzen. Damit können wir Mitarbeiterinnen stärken, die Produktivität erhöhen, Menschen stabil halten, wir können dazu Handwerkszeug mitgeben. Gerade Frauen sollten sich fragen, wie sie mit ihrer Gesundheit umgehen, wie mit dem Körper, den Ressourcen, den eigenen Grenzen. Ich erlebe immer wieder, dass Frauen hellhörig werden, wenn wir ihnen sagen, dass sie auf ihre Grenzen schauen dürfen. Sie müssen das erst lernen.

Ursula Löffler hat als Recruiterin mit gut ausgebildeten Frauen zu tun, kennt als Psychotherapeutin aber auch die andere Seite. Ein Wunsch eint viele Frauen: etwas zu bewirken.
Ursula Löffler hat als Recruiterin mit gut ausgebildeten Frauen zu tun, kennt als Psychotherapeutin aber auch die andere Seite. Ein Wunsch eint viele Frauen: etwas zu bewirken.


Ursula Löffler: Sie haben einen ganz wichtigen Punkt gesagt, und zwar die Unterscheidung zwischen Können und Wollen, das gilt es herauszufinden. Doch auch wer zur glücklichen Gruppe derer gehört, bei denen es ums Wollen geht - auch dort muss der berufliche Weg nicht immer die logische Fortsetzung des bisherigen Lebenslaufs sein, man kann auch anders und neu denken. In der Personalberatung habe ich eher mit Frauen aus gehobenen Positionen zu tun, hier ist die Altersdiskriminierung nicht in dem Maß vorhanden. Doch es geht immer um das Mindset: Was will ich, was traue ich mir zu? Was will ich noch bewirken, was in den letzten Jahren der Berufstätigkeit erreichen? Selbstwirksamkeit, Gestaltungsmöglichkeiten, die Weitergabe von Erfahrung und Wissen sind ja gerade für die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen enorm wichtig.

Es geht also in gewisser Weise um das Recht, ein gutes Leben zu führen. Haben Sie das Gefühl, dass Frauen das weniger zugestanden wird als Männern, Frau Löffler? Löffler: Es geht um das Recht, ein gutes Leben zu führen und nicht in irgendetwas hineingepresst zu werden, wenn man nicht mehr kann. Aber ich kann meinen Fokus auf das lenken, was noch geht. Ich bin auch Psychotherapeutin und sprach gestern mit einer Klientin, die keine Energie mehr hat, weil sie sich nur auf ihre Krankheit konzentriert. Wir haben gemeinsam eine Liste erstellt, was noch gut funktioniert und worauf sie den Fokus legen könnte. Das muss man sich bewusst machen. Und ja, wir Frauen sind eher darauf trainiert, uns im Hintergrund zu halten, uns anzupassen. Dazu zählen aber eher Frauen, die zu mir zur Therapie kommen. In der Personalberatung habe ich es eher mit selbstbewussten Frauen zu tun, die wissen, was sie wollen.

Daniela Schwaiger von Frau und Arbeit erlebt häufig, dass Frauen in Jobs übersehen werden. Nicht zuletzt deshalb, weil oft automatisch davon ausgegangen wird, dass sie keine Karriere machen wollen.
Daniela Schwaiger von Frau und Arbeit erlebt häufig, dass Frauen in Jobs übersehen werden. Nicht zuletzt deshalb, weil oft automatisch davon ausgegangen wird, dass sie keine Karriere machen wollen.

Frau Schwaiger, wie erleben Sie aktuell die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Frauen? Daniela Schwaiger: Bei Frau und Arbeit waren 2024 die Hauptthemen in dieser Zielgruppe unterschiedlich. Da waren die Wiedereinsteigerinnen, die aufgrund familiärer Care-Arbeit jahrelang vom Beruf weg waren, aber auch Frauen mit erschwerter Rückkehr ins Berufsleben, meist nach Langzeitkrankenständen. Hier im Speziellen, aber auch im Allgemeinen ist das Thema Gesundheit ein großer Punkt. Dann kamen Frauen, die langjährige Dienstverhältnisse beendeten, weil Perspektiven fehlten. Das sind oft die "Perlen", die sich im Hintergrund um alles kümmern und die man oft nicht befördern will, weil diese fleißige Arbeitskraft fehlen würde. Und weil nicht selten davon ausgegangen wird, dass diese Frauen gar keinen Karriereschritt wünschen. Oft kommen dann junge Männer als Führungskräfte, die ihre Vorgesetzten werden, das kränkt diese Mitarbeiterinnen. Wir haben auch Frauen bei uns, deren Arbeitgeber insolvent wurde. Hier vermissen wir Krisenmanagement und gute Kommunikation, denn nicht zu wissen, wie es mit dem Unternehmen weitergeht, bringt schlaflose Nächte und beeinträchtigt gesundheitlich. Zu uns kommen auch sehr gut ausgebildete Frauen mit internationalem Hintergrund oder jene, die zurück nach Salzburg, hier Fuß fassen und gute Jobs haben wollen, sich dabei aber schwertun. Und wir haben es mit Frauen zu tun, die einfach beruflich etwas tun wollen, das ihnen Freude macht.

Was würden Sie sagen, was ist der gemeinsame Nenner, der Frauen "plagt"? Schwaiger: Die traditionellen Rollenbilder vermutlich, die in allen schlummern, auch in den jungen Frauen. Auch bei ihnen wird sich das erste Kind als Karriereknick zeigen, viele werden sich selbst hintanstellen, weil der Partner mehr verdient. Dann kommt die Care-Arbeit, die sich für die meisten Frauen durch das ganze Leben zieht. Letztlich droht wegen dieser Allzeitverfügbarkeit die Erschöpfung der Frauen, wie die Soziologin Franziska Schutzbach in ihrem gleichnamigen Buch schreibt. Wir Frauen müssen schauen, dass wir vom Opfer zur Schöpferin werden. Wenn man den Umlaut wegnimmt, ist das derselbe Wortstamm. Und wir brauchen mehr Solidarität untereinander.

Welches Bild, glauben Sie, hat der Arbeitsmarkt von Frauen 50 plus? Erhart: Sie sind digital nicht affin, nicht sehr belastbar, nicht sehr flexibel, weil ja im Hintergrund die Care-Arbeit erledigt werden muss …

Löffler:… nicht wahnsinnig lernbereit, sind eh schon bald in Pension und damit gedanklich raus oder nicht mehr ans Arbeiten gewöhnt, wenn sie eine längere Pause hatten. Oder sie können sich nicht mehr so anpassen.

Beyer: Im Rahmen unserer Impulsberatung für Betriebe haben wir im Vorjahr 200 Unternehmen zum Thema Gleichstellung unterstützt, wir erlebten dabei, dass jene Unternehmen Frauen gut einbinden, die selbst Führungskräfte beschäftigen. Sobald "der Chef" den Betrieb allein führt und die gesamte Personalentwicklung machen soll, funktioniert das weniger gut. Wir brauchen aber die Frauen, laut Prognosen stehen dem Salzburger Arbeitsmarkt wegen der Anhebung des Pensionsalters bis zum Jahr 2028 6000 Frauen mehr zur Verfügung. Zurzeit aber geht etwa jede vierte Frau nicht aus der Erwerbstätigkeit in Pension, sondern aus Arbeitslosigkeit, Krankengeld oder Erwerbslosigkeit. Mit Frau und Arbeit haben wir aktuell ein Projekt, wie wir zum versteckten Potenzial kommen, das man lieblos "stille Reserve" nennt. Eine Frau ist aber keine Reserve und still sollte sie schon gar nicht sein (lacht). Dazu muss man Frauen unterstützen, in die Eigenverantwortung zu gehen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, aber auch die Männer mitnehmen.

Wenn sich Frauen ab 50 auf dem Arbeitsmarkt schwertun, was bedeutet das für die gut ausgebildeten? Provokant gesprochen: Müssen Akademikerinnen umlernen, weil auf ihrem angestammten Feld für sie "kein Platz" mehr ist? Erhart: Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Wir Frauen haben über die Jahre bewiesen, dass wir flexibel sein können. Jetzt liegt es an den Strukturen, an den Unternehmen, an den Systemen, dass sie Flexibilität beweisen im Sinne von: lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle anbieten, im Sinne von: Adaptierungen oder Wechselmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens schaffen. Wobei das bei vielen Berufen, etwa bei Reinigungskräften oder Produktionsmitarbeiterinnen, gar nicht möglich ist. Hier braucht es völlig neue Ansätze, damit auch diese Frauen gesund und mit Perspektive bis zur Pension arbeiten können.

Sie sagen also Nein zu mehr Flexibilität? Erhart: Genau, wir Frauen dürfen die Lösung von der anderen Seite einfordern, die will uns ja bis 65 als Arbeitnehmerinnen. Wir begleiten bei frauenanderskompetent pro Jahr im Schnitt 109 Frauen. Auf die Frage, was sie bräuchten, um lange arbeiten zu können, hören wir fast immer dasselbe: Wertschätzung und eine gleiche Bezahlung wie Männer. Das ist auch unsere Messgröße: Wenn Menschen über eine "richtige Pension" reden, dann meinen sie die eines Mannes. Wir Frauen sind es, die Flexibilität einfordern müssen, etwa im Bereich Arbeitszeitmodelle. Oder dass wir die Bildungskarenz neu denken. Und auch wenn sie von ein paar Prozent missbräuchlich verwendet werden könnte, verhilft sie doch den anderen Frauen zu einer besseren Qualifizierung.

Löffler: Ich gebe Ihnen recht, mit einer Einschränkung: Wenn es die Jobs nicht gibt oder nicht mehr gibt, in denen ich tätig bin, dann muss ich schon eine gewisse Flexibilität mitbringen und mich umorientieren. Das betrifft Männer genauso wie Frauen. Flexibilität betrifft auch die digitale Kompetenz, die heute als Grundkompetenz gesehen wird und die ich in jedem Alter beherrschen muss. In diese Richtung müssen wir schon flexibler werden, aber es muss auch mit dem übereinstimmen, was ich selbst will, was mir Spaß macht, was sinnvoll ist, wo ich motiviert bin. Für diese Fragen muss man sich die Zeit nehmen. Wer mit 50 arbeitslos wird, sollte vielleicht nicht gleich Bewerbung um Bewerbung losschicken, sondern innehalten und schauen, was er oder sie möchte und welche Möglichkeiten es dazu auf dem Arbeitsmarkt gibt. Die Rahmenbedingungen werden sowieso flexibler sein müssen. Da denken viele Unternehmen schon um, auch wenn es nur aus der Not heraus ist.

Schwaiger: Die Frage ist: Wollen wir Frauen über die normalen Anforderungen hinaus immer flexibel sein? Die Ökonomin Katharina Mader sagt, Frauen seien die Verschubmasse in der Arbeitswelt. Nach dem Krieg haben die Trümmerfrauen aufgeräumt, die Männer sind zurückgekommen, die Frauen konnten wieder gehen. In allen Branchen, in die Frauen strömten, ist das Gehalt gesunken. Früher, als es in der IT noch die Lochkarten gab, waren dort viele Frauen gebraucht und beschäftigt. Je digitaler die Branche geworden ist, umso mehr Männer sind gekommen und auch die Gehälter sind gestiegen. Wenn wir das Beispiel mit der Pflege nehmen, müssen wir uns eher fragen: Warum sind manche Berufe so schlecht bezahlt? Hier braucht es definitiv eine Neubewertung der viel zitierten systemrelevanten Berufe.

… statt Frauen wegen des besseren Einkommens den Gang in die Technik zu empfehlen? Schwaiger: Ja, denn mit diesem Denken haben wir keine Friseurinnen oder Supermarktverkäuferinnen mehr. Unsere Arbeitsbewertungsmodelle stammen aus dem vorletzten Jahrhundert, aus dem Zeitalter der Industrialisierung. Wir sind im Dienstleistungs- und Digitalisierungszeitalter angekommen, da braucht es andere Qualitäten, die gesellschaftlich relevant sind. In unseren Workshops empfehlen wir den Frauen, sich mit dem Partner die Pensionskonten anzuschauen und zu diskutieren, wie die Ungleichheit entstanden ist. Nicht weil die Frau nichts gearbeitet hat. Sondern weil sie dafür kein Gehalt bezogen hat und keine Versicherungszeiten sammeln konnte. Ein Paar könnte auch hergehen und sagen: Beide arbeiten nur mehr 30 Stunden und teilen sich die unbezahlte Arbeit. Eigentlich sollte dieses Vorsorgewissen wie der Führerschein zum Autofahren verpflichtend werden.

Wenn wir davon reden, dass man im Job mehr darauf hören sollte, was einem Freude bereitet: Ist das in der Praxis wirklich so einfach, Frau Beyer? Beyer: In der Pandemie hat sich gezeigt, dass viele Menschen aus dem Tourismus wegwollten. Wir durften sie aber nicht wegvermitteln beziehungsweise umschulen, weil dort viele Stellen offen waren. Über die spätere Corona-Joboffensive bestand dann die Möglichkeit der Umschulungen, auch für Menschen aus dem Tourismus. Viele haben Schulungen für den Pflegebereich gewählt. Das sind die Berufe, die wir aufgrund der demografischen Entwicklung in nächster Zeit brauchen. Es werden übrigens alle Branchen boomen, in denen es Frauen braucht, das ist die gute Nachricht! Beim AMS ist es uns wichtig, die Menschen in deren Kompetenzen zu stärken. Aus diesem Grund matchen wir jetzt auch nach Kompetenzen und nicht mehr nach Berufen.

Statt "Was ist Ihr Beruf?" fragen Sie also: "Worin sind Sie gut?"? Ist das nicht schwierig, wir sind ja gewohnt, in Berufsgruppen zu denken? Beyer: Wir fragen nun eben nicht, welche Berufe die Unternehmen brauchen, sondern welche Kompetenzen. So findet man eher die passenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Zudem zeigt sich immer häufiger, dass Menschen mit 40, 45 Jahren eigentlich etwas ganz anderes arbeiten wollen, sich aber die Fragen nach ihren Kompetenzen zu wenig stellen. Darum forcieren wir die Erwachsenenlehre. Es gibt hier zudem Förderungen, damit man sich den Lebensunterhalt leisten kann. Im Regierungsprogramm ist dafür auch Geld vorgesehen, das ist wichtig: 41 Prozent der bei uns im Bundesland Salzburg vorgemerkten Frauen haben nur einen Pflichtschulabschluss. Hier wäre oberste Priorität, dass sie einen Lehrabschluss machen können, um über eine Berufsausbildung zu verfügen. Bei den über 50-jährigen arbeitslosen Frauen haben 47 Prozent nur die Pflichtschule besucht.

Die Langzeitarbeitslosigkeit ist ja bei älteren Frauen auch höher? Beyer: 2024 waren 38 Prozent der Langzeitbeschäftigungslosen weiblich, im Schnitt über 45 Jahre, 82 Prozent hatten gesundheitliche Einschränkungen. Es wurde mehrfach schon angesprochen: Wir brauchen flexible Lösungen. Wenn jemand 32 Wochenstunden arbeiten möchte und es sich leisten kann, warum nicht. Die Jugend macht es uns mit ihren klaren Vorstellungen derzeit vor …

Erhart: Ich sehe schon eine Herausforderung: Wir wollen junge Menschen immer stärker davor bewahren, Belastungen zu erleben. Hier stellt sich die Frage, wie realistisch es ist, dass im späteren Berufsleben die Herausforderung anklopft und fragt: Wärst du gerade bereit? Resilienz bedeutet ja nicht nur, unter idealen Bedingungen stabil zu bleiben, sondern gerade auch dann den Stürmen des Lebens standhalten zu können, wenn es unbequem wird. Ich beobachte bei vielen jungen Frauen, dass eine Bewerbungsabsage oder eine Enttäuschung sie stark verunsichern und aus der Bahn werfen kann. Das zeigt, wie wichtig es wäre, gemeinsam daran zu arbeiten, wie man innere Stärke auch in weniger planbaren Situationen entwickeln kann.

Löffler: Was häufig fehlt, ist, dass die Älteren die Jüngeren wertschätzen. Vielleicht sollten wir eher dem auf den Grund gehen, warum die Jungen weniger belastbar sind. Zwischen den Generationen gibt es kaum Gesprächskultur, darum werden viele Themen nicht gelöst.

Was wäre Ihre Vision vom neuen Arbeitsmarkt? Erhart: Dazu braucht es erst einmal den Umbau der Gesellschaft, nur die kann den Arbeitsmarkt umbauen. Das sind vor allem die Männer, die wir stärker in die Pflicht nehmen müssen, damit die gesamte Mental Load nicht auf den Frauen lastet. Die kommt ja nur deshalb zustande, weil Frauen alles im Kopf haben müssen, von der Gummistiefelgröße der Kinder bis zu dem, was sich im Kühlschrank befindet. Das ist selbst in modernen Beziehungen so. Dann müssen wir die Altersdiskriminierung sichtbar machen, die Lohndiskrepanzen, etwa wenn ein Paar nach einem Arbeitstag nach Hause kommt und einer 1300 Euro brutto verdient, der andere 8000. Da müssen wir uns fragen: Wo ist der Unterschied, was ist die Leistung? Es müssen stärker Betroffenheiten geschürt werden. Dann würde in vielen Unternehmen auch anders diskutiert und entschieden werden.

Löffler: Ich erlebe das bei Unternehmern oder Geschäftsführern, die selbst über 50 sind. Die nehmen in der Regel gern ältere Menschen auf.

Wenn wir von lustvollem Arbeiten reden, was bräuchte es dazu? Löffler:

Sinn, Selbstbestimmtheit, Selbstverantwortung. Dass mein Tun wertgeschätzt wird und ich gut bezahlt werde.

Wir könnten jetzt noch so viel über Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt reden. Doch der eigentliche Kampf um Gleichstellung beginnt in Wahrheit ja zu Hause. Schwaiger: Hier möchte ich wieder die Autorin Schutzbach zitieren, die in ihrem Buch "Revolution der Verbundenheit" schreibt: Wenn wir Revolution wollen, müssen wir uns auch die Hände schmutzig machen, im Sinne von: unbequem werden. Immer nur die liebe Frau zu sein, sich aber die Revolution zu wünschen, das geht sich nicht aus.

Erste Schritte für bessere Arbeitsbedingungen für Frauen

  • Typische Frauenberufe sind laut AK-Untersuchung überwiegend weiblich besetzt, körperlich wie psychosozial belastend und erfordern ein großes Maß an Flexibilität. In der Regel verfügen sie über eine geringere soziale Absicherung, als es in typischen Männerberufen üblich ist. Ein Argument mehr, warum die Entlohnung von Frauenberufen zu überdenken ist, sind sich Arbeitsexperten einig.
  • Unternehmen können ihre Jobs durchlässiger gestalten. Das ist immer häufiger Zielsetzung in den Betrieben: Statt auf Spezialisierungen zu setzen, werden Tätigkeiten so angelegt, dass Rochaden möglich sind und Mitarbeitende in allen Abteilungen tätig werden können. Das würde auch bedeuten, dass alle die Toilette putzen müssten, was dann freilich auch für die Männer gelten würde.
  • Ein Dauerbrenner ist die Forderung nach "Halbe-Halbe", für die seinerzeit die Frauenministerin Helga Konrad arg gescholten wurde, also eine gerechte Aufteilung der Haushalts- und Care-Arbeit. Diese, aber genauso das Ehrenamt, muss gerecht verteilt werden. Alle Mitglieder einer Gesellschaft sollten gleichermaßen und geschlechterunabhängig anpacken müssen. Dass für manche Tätigkeiten keine Entlohnung winkt, müsste zum Allgemeinverständnis werden.

*In der AK Wien ist man der Meinung, dass sich die Tarifpartner für mehr Schlagkraft über ihre Interessen hinaus zusammenschließen sollten und sich die Regierung mit entsprechender Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik des Themas Ungerechtigkeit annehmen sollte. Dazu müsste das Dauerbrennerproblem der unentgeltlichen Care-Arbeit diskutiert werden.