"Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht", bringt es Bodo Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy, pointiert auf den Punkt. In einer Welt ständig wachsender Anforderungen und zunehmender Komplexität ist eine der wesentlichsten Kompetenzen, die Führungskräfte entwickeln können, nämlich, Prioritäten zu setzen. Doch das gezielte Nein-Sagen gestaltet sich in der Praxis häufig schwieriger, als es scheinen mag. "Klare Prioritäten zu setzen bedeutet, zwischen dem zu unterscheiden, was für das Unternehmen und die eigene Position wirklich wichtig ist, und dem, was ablenkt oder unnötig Ressourcen bindet und damit Zeit und Energie kostet", erläutert Schlegelmilch. Auf dem Schreibtisch des Dekans ist nicht ganz zufällig das Geschenk eines Kollegen platziert: ein roter, batteriebetriebener "No-Button". Wenn er diesen drückt, ertönt ein No, das bei mehrmaligem Drücken immer vehementer wird.
Nein sagen fördert Klarheit
Nein zu sagen, bedeutet nicht, egoistisch zu handeln. Im Gegenteil: Ist es gut begründet, so ist es laut Schlegelmilch vielmehr ein Zeichen von Wertschätzung und Klarheit. "Wenn ich erklären kann, warum ich Nein sage, zeigt das, dass ich meine Prioritäten durchdacht habe und die Auswirkungen und Folgen meiner Entscheidung für mich und andere am Radar habe und auch beherzige."
Over-Achiever: Führungskräfte müssen lernen, Nein zu sagen
Für viele Führungskräfte sei ein Nein besonders schwer zu artikulieren, weil sie entweder Over-Achiever sind oder zur Kategorie der People-Pleaser zählen, weiß Kussai El-Chichakli, langjährige Führungskraft bei Procter & Gamble und Coca-Cola sowie Gründer der Management-Beratung The Center: "Nein zu sagen ist oft eine persönliche Herausforderung, die ein gewisses Maß an Selbstreflexion erfordert, um die eigenen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu respektieren", betont El-Chichakli. "Klassischerweise steigen Führungskräfte auf, weil sie die Erwartungen und Anforderungen an ihren Job übertreffen und mehr tun als andere - also zu den Over-Achievern gehören", sagt er. Allerdings könnten das stetige Mehr an Arbeit und die wachsende Verantwortung zur Überlastung führen. Aus der eigentlich guten Gewohnheit, immer die Extrameile gehen zu wollen, würden viele Over-Achiever das Gespür verlieren, wann ein Nein wichtig und notwendig wäre.
Ja-Sager: People-Pleaser gefährden effektive Führung
Aber auch People-Pleaser sind laut El-Chichakli nicht selten in den Führungsriegen zu finden. Ein klassisches Zeichen von People-Pleasing sei es, Wünsche anderer stets erfüllen zu wollen: "Um niemanden zu enttäuschen, sagen sie oft Ja, selbst wenn sie wissen, dass sie eigentlich Nein sagen sollten. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass sie ihre eigenen Prioritäten, Werte und Prinzipien aus den Augen verlieren - denn für sie ist dringlich und wichtig, was andere für dringlich und wichtig halten.