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Interkultureller Austausch: Missverständnis oder Aha-Effekt?

Wenn Unternehmen Beschäftigte an andere Standorte entsenden, stärkt das im besten Fall die Synergien im Betrieb. Doch dafür braucht es viel Vorbereitung und Fingerspitzengefühl.

Experte für interkulturelle Zusammenarbeit: Thomas Herdin.
Experte für interkulturelle Zusammenarbeit: Thomas Herdin.

Österreich und Deutschland vereint die Sprache und trennt der Humor. Diese Erfahrung hat Lea Brückelmann gemacht.

Auf Austausch in Salzburg: Lea Brückelmann.
Auf Austausch in Salzburg: Lea Brückelmann.

Seit zwei Jahren arbeitet die 27-Jährige für Teekanne Deutschland als Digital-Media-Managerin. Das vergangene halbe Jahr hat sie im Marketingteam von Teekanne Österreich in Salzburg verbracht. "Das hat sich gut ergeben, weil eine österreichische Kollegin ein Sabbatical macht - und für mich war der Zeitpunkt ideal, da ich gerne Ski fahre und so die Saison mitnehmen konnte", erzählt Brückelmann.

Auslandsaufenthalt: Chance und Gefahr

Ein Auslandsaufenthalt, das sei immer Chance und immer Gefahr, ist Thomas Herdin überzeugt. Er war um die Jahrtausendwende selbst sieben Jahre lang in unterschiedlichen asiatischen Ländern im Management tätig. Heute forscht er an der Universität Salzburg zur interkulturellen Kompetenz. Gerade für Teams, die über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten, sei es wichtig, dass sie an einem Strang ziehen. "Wir glauben, dass Begegnungen zwischen Kulturen im Zuge der Onlinevernetzung und der Globalisierung heute ohnehin normal wären. Dabei braucht es mehr, um andere zu verstehen", sagt der Experte, "nämlich Offenheit und Neugier anstelle des Drangs zum Werten, zu dem wir oft neigen." Der beste Weg, andere zu verstehen, sei, sich selbst, das eigene Mindset zu verstehen. "Was sind meine Werthaltungen, Filter, die ich durch die Sozialisation mitbekommen habe?" Wichtige Fragen im Arbeitskontext: "Wie löse ich Konflikte? Wie motiviere ich jemanden?" Immerhin sei Kultur mit einem Eisberg vergleichbar: oben das Wahrnehmbare, die sieben Achtel unter der Oberfläche könne man sich als verborgene Dimension von Kultur vorstellen, also als die Werte und Normen, nach denen Menschen handeln. Kurze, blitzlichtartige Reflexionen auf der Metaebene helfen, die Scheuklappen zu öffnen und letztlich interkulturelle Kompetenz zu entwickeln. "Gerade Missverständnisse sind wichtig", sagt der Kommunikationswissenschafter. "Wer diese aktiv aufgreift, kann einen Aha-Effekt generieren."

Schauplatzwechsel ins Marketingteam von Teekanne in Salzburg

Ein Jahr habe man sich für die Vorbereitung von Brückelmanns Austausch Zeit genommen. "Es ist eine Ausnahmesituation, sechs Monate in einem anderen Team zu arbeiten. Insofern ist es wichtig, genug Vorlauf zu haben, damit sich alle entsprechend vorbereiten können und die Mitarbeiterin schnell gut starten kann", erläutert Sylvia Gimm, die hier den Bereich Personalentwicklung verantwortet.

Zuständig für die Personalentwicklung: Sylvia Gimm.
Zuständig für die Personalentwicklung: Sylvia Gimm.

In Düsseldorf wurden Brückelmanns Agenden temporär auf das Team und eine Praktikantin verteilt, ihr Vertrag um eine Entsendungsklausel ergänzt. "So muss ich nicht um meinen Job bangen, sondern weiß, dass ich nach dem halben Jahr unkompliziert zurückkehren kann und darf." Das Herkommen sei ihr leicht gemacht worden, erzählt die Digital-Managerin aus Nordrhein-Westfalen: "Ich musste mich nicht darum kümmern, eine Unterkunft zu suchen. Mir ist eine Mitarbeiterwohnung zur Verfügung gestellt worden. Zusätzlich konnte ich ein Poolauto des Unternehmens nutzen." Außerdem habe sie einen Buddy zur Seite gestellt bekommen, der sie beim Ankommen unterstützte. Gimm kann bestätigen, dass die 27-Jährige schnell ins Team integriert wurde: "Sie kennt den Job sehr gut. Fachlich betrachtet sind es die gleichen Aufgaben wie in Deutschland." Wie sich die Arbeit im Stammhaus in Düsseldorf dennoch von jener in der Niederlassung in Salzburg unterscheidet? Das sei - neben einigen Unterschieden in den Geschmacksnoten der Tees und im Verpackungsdesign - eben der Humor: "Österreich hat die personifizierte Teekanne, die kennen wir in Deutschland gar nicht", erzählt Brückelmann. "Es war superspannend, das Unternehmen durch diese anderen Gegebenheiten im Marketing neu kennenzulernen."

Wie die junge Frau von ihrem Arbeitseinsatz in Salzburg profitiert hat?

"Auch wenn unsere Abteilungen online regelmäßig im Austausch sind: Wenn man sich persönlich kennt, hat man eine ganz andere Basis, wie man miteinander spricht. Ich kann individuelle Perspektiven nun einfacher nachvollziehen und meine eigenen besser verständlich machen. So kommen wir schneller zu einem Ergebnis", sagt die 27-Jährige. Das Unternehmen, das Niederlassungen in acht Ländern hat, nutzt den Austausch auch, um Synergien zu stärken. Und: "Uns ist es wichtig, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen", sagt Personalentwicklerin Gimm. "Wer an einem Austausch interessiert ist, spricht zuerst einmal mit der Führungskraft. Dann wird im Unternehmen geschaut, was möglich ist." Eine Salzburger Kollegin, die für den osteuropäischen Raum zuständig ist, verbrachte etwa kürzlich drei Wochen am Standort in Polen. Ein Austausch im Umfang von sechs Monaten sei aber ein Novum gewesen. "Ich bin gespannt, wie die Zusammenarbeit danach weiterläuft. Ich bin mir sicher, dass der Austausch noch unkomplizierter ist als vorher", so Gimm.

"Im besten Fall ist eine interkulturelle Erfahrung ein unheimlicher Gewinn", ist auch Thomas Herdin überzeugt. "Wenn ich das Potenzial nutze, das verschiedene Perspektiven, Fähigkeiten, Erfahrungen mit sich bringen, ist das ein Nährboden für kreative Lösungsfindung und damit für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit - wenn denn die Teams professionell angeleitet werden. Im besten Fall kommt es zu Synergien, im schlechtesten zu verfestigten Stereotypen, Vorwürfen oder Gruppenbildung entlang kultureller Linien."