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Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Zwischen Kind und Kundentermin

Warum die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur Frauensache sein darf, sondern geteilte Verantwortung ist, erklärt eine Unternehmensberaterin.

Unternehmensberaterin und Coach Susanne Dietz rät zu offener Kommunikation und dazu, eigene Ansprüche zu drosseln.
Unternehmensberaterin und Coach Susanne Dietz rät zu offener Kommunikation und dazu, eigene Ansprüche zu drosseln.

Susanne Dietz hat sich schon früh dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie verschrieben, zunächst als Personalentwicklerin im Angestelltenverhältnis, seit 2012 als Keynote-Speakerin, Coach und Universitätsdozentin. Im SN-Interview spricht sie darüber, warum der Leidensdruck der Vereinbarkeit nicht allein bei Müttern liegen darf, was Arbeitgeber besser machen könnten und warum es manchmal reichen muss, einfach zu überleben.

"Mutterwerden war ein Entwicklungsbooster für mich", schreiben Sie an einer Stelle in Ihrem neuen Buch. Was meinen Sie damit? Susanne Dietz: Ich musste als Mutter komplett neue Kompetenzen erlernen. Was mich im Job erfolgreich gemacht hat, hätte nicht mehr funktioniert. Ich habe drei Kinder, und auch beim dritten bringen einen wieder neue Themen an die Belastungsgrenze. Und es geht noch tiefer, weil man mit den eigenen Glaubenssätzen konfrontiert wird und die Chance bekommt aufzuräumen. Anstrengend ist das ohne Frage. Wichtig ist hier das Thema Selbstführung, denn ich muss auf meine Ressourcen achten, damit ich nicht komplett leer bin. Denn ich bin ja auch für das Überleben anderer verantwortlich.

Drei Kinder, Ihre Selbstständigkeit als Trainerin und Coach, ein Podcast, Bücher schreiben … Wie bringen Sie das unter einen Hut? Gar nicht. (lacht) An einigen Tagen muss es reichen, dass wir alle überlebt haben: Ein Kind wird krank, eines fällt von der Schaukel, und dann kommt noch ein spontaner Kundentermin herein. Das kann ich nur schaffen, weil ich einen Job habe, der mir viel Sinn gibt und ein Gegenpol zum Familienleben ist. Daher fällt es mir leicht, mich abends noch einmal hinzusetzen oder am Wochenende an der Uni Passau Dozentin zu sein. Damit das nicht kippt, ist es wichtig, in Kontakt mit mir selbst zu sein und gegebenenfalls die Ansprüche runterzuschrauben. Denn meine Entscheidung ist auch: Ich möchte Teil der Kindheit meiner Kinder sein.

Wie machen Sie das, Ansprüche runterzuschrauben? Im Hamsterrad merken wir oft nicht, welche Ansprüche da in uns sind, und dass das nicht unbedingt die Erwartungshaltung vom Mann, Chef oder der Gesellschaft ist. Sobald ich erkenne, dass es meine eigenen Ansprüche sind, die zu hoch sind, kann ich bewusst etwas verändern. Wenn ich mich dann im Alltag liebevoll - statt wertend - beobachte, kann ich gegensteuern. Wie bei allen Kompetenzen ist das Training. Da muss ich dann konsequent bleiben, wenn ich sage: Heute mache ich einmal gar nichts mehr.

Was war für Sie der gravierendste Einschnitt, als Sie Mutter wurden? Es waren in der Tat zwei Dinge: die 24-Stunden-Verfügbarkeit und die Fremdbestimmtheit. Ich kam damals aus der Selbstständigkeit, konnte meinen Tag völlig selbst strukturieren. Ständig auf Abruf sein und erst abends um acht einmal zwei Stunden tun, was ich will - das war neu.

Was wünschten Sie, mit Ihren Auftraggebern damals im Vorhinein abgeklärt zu haben? Beim ersten Kunden habe ich noch gesagt, dass ich jederzeit für ihn erreichbar bin. Ich habe aber schnell gemerkt, wie wichtig es ist, Zeitfenster für die Arbeit festzulegen. Im Coaching mit angestellten Frauen und in der Unternehmensberatung rate ich: Es braucht einen ganz konkreten Plan, wie die Frau in die Elternzeit kommt, sich der Kontakt während der Abwesenheit gestaltet und wie die Rückkehr gelingt. Es gibt eine Studie, die zeigt, dass, wenn es keine familienfreundlichen Maßnahmen wie Kita oder Programme für Mütter im Unternehmen gibt, ein Drittel gar nicht erst aus der Elternzeit zurückkommt.

Als Personalerin haben Sie miterlebt, wie Potenzial verloren geht, wenn Karenzrückkehrerinnen eine niedrigere Position zugewiesen bekommen. Ich habe auch auf den Spielplätzen so viele gut ausgebildete Mütter getroffen, denen rechtlich ihr alter Arbeitsplatz zusteht, die als ehemalige Abteilungsleiterinnen aber plötzlich Tätigkeiten verrichten, die genauso Praktikanten übernehmen könnten. Das ist eine Vollkatastrophe. Viele gute Mitarbeiterinnen verlassen in weiterer Folge das Unternehmen. Die Frage ist auch, warum Betriebe so viel Geld für minderwertigere Jobs ausgeben - denn das Gehalt bleibt ja gleich.

Wie ginge es besser? Der Leidensdruck beim Thema Vereinbarkeit ist aufseiten der Mütter. Aber sie geht alle an. Arbeitgeber dürfen gut hinschauen und sich damit auseinandersetzen, welcher Typ Mensch die werdende Mutter ist, und auch während der Karenz den Kontakt gut halten, flexibel sein. Natürlich sehen einige Mutterschaft auch als Erlösung vom Job. Andere gehen extrem motiviert in die Elternzeit und glauben, sie wären nach sechs Monaten zurück im Job. Aber die Hormonumstellung, Werte, die sich neu ordnen - das verändert einen Menschen grundlegend. Wer als Arbeitgeber die - zeitlich begrenzte - Investition tätigt, auf die Mitarbeiterinnen einzugehen, profitiert enorm: Diese sind dann unfassbar loyal und bleiben dem Unternehmen erhalten.

Wie können wir unausgesprochene Vorurteile gegenüber Müttern in Unternehmen aufdröseln? Sobald man Regeln als hinderlich identifiziert, kann die Kulturarbeit beginnen: Wichtig ist, dass ein Unternehmen Vereinbarkeit wirklich als Wert integriert, damit es dann nicht situativ schnell Feuerwehr spielen muss. Das fängt im Recruiting an, beispielsweise, indem das Unternehmen von sich aus kommuniziert, so läuft das bei uns, und damit signalisiert, dass eine Schwangerschaft kein Tabu ist. Diese Sensibilisierung sollte außerdem Teil der Führungskräftequalifizierung sein, sodass man in einen Diskurs gehen und etwaige Ängste von Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel was Mehrarbeit betrifft, ernst nehmen kann.

Buchtipp:„No Mom is Perfect! Der ehrliche Ratgeber, den ich mir vor dem Mutterwerden gewünscht hätte“, Susanne Dietz, metropolitan.
Buchtipp:„No Mom is Perfect! Der ehrliche Ratgeber, den ich mir vor dem Mutterwerden gewünscht hätte“, Susanne Dietz, metropolitan.