Stress und Depression sind hohe Risikofaktoren für das Herz. Was hilft dagegen vor oder nach einem Infarkt? Und wie durchbricht man die "Schweigespirale", die es bei Depression noch immer gibt?
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Die Angst vor der nächsten Attacke führt in die falsche Richtung.
Betroffene sprechen ein wenig plakativ von der "Schraube" und von der "Pumpe". Und davon, dass die Gesundheit oder Krankheit der einen sehr viel mit dem Zustand der anderen zu tun hat: Wenn die "Schraube" - die Seele - von Angstzuständen oder einer Depression geplagt wird, dann wird die "Pumpe" - das Herz - sehr oft in Mitleidenschaft gezogen. Genauso kann umgekehrt ein krankes Herz, zum Beispiel nach einem Infarkt, seelische Erkrankungen nach sich ziehen.
Zunehmend hat auch die Medizin ein Auge auf diesen Zusammenhang, und zwar fachübergreifend in der sogenannten Psychokardiologie. "Einsamkeit, Depressionen oder belastende Arbeitsbedingungen können das Risiko für eine Herzerkrankung ähnlich stark erhöhen wie Rauchen oder ungesunde Ernährung", sagt dazu Volker Köllner, Chefarzt der Abteilung Psychosomatik des Rehazentrums Seehof in Teltow. "Umgekehrt kann ein krankes Herz Menschen in seelische Krisen stürzen."
"Langeweile ist genauso schlecht für Herz und Seele wie viel Stress."
Volker Köllner
Psychosomatiker
Einen besonderen Fokus hat der psychosomatische Mediziner dabei auf Depressionen. Denn während ein Herzinfarkt bereits gesellschaftsfähig ist, wird über seelische Erkrankungen nach wie vor ein Schleier des Schweigens gelegt. "Ich frage meine Patientinnen und Patienten: Kennen Sie jemanden mit einer Depression?", berichtet Köllner aus der Reha-Praxis. "Dann lachen die meisten und sagen: Nein, es redet ja keiner darüber. Ich habe über meine Depression ja bisher auch mit niemandem gesprochen." Die Klinik sei für viele in dieser Hinsicht geradezu ein befreiendes Erlebnis. "Hier muss niemand etwas verheimlichen. Alle wissen, die anderen sind auch krank."
Nichtstun ist die falsche Richtung
Allein die Information mithilfe der nüchternen Zahlen kann eine Hilfe sein. "Beinahe jeder vierte Mensch hatte im Laufe seines Lebens schon einmal mit Depression zu tun", unterstreicht Köllner. "Wir sagen daher unseren Patientinnen und Patienten: Es ist ganz normal, eine solche Krankheit zu haben." Nicht zuletzt gelte das nach einem Herzinfarkt. "Diese Zeit ist häufig von Angstattacken geprägt, wenn plötzlich der Blutdruck und der Puls hochgehen. Das Verhängnis dabei ist nicht die einzelne Attacke selbst, sondern dass sie in die falsche Richtung lenkt: in den Rückzug und in das Nichtstun."
Die Evolution hat uns gelehrt, angstauslösende Faktoren zu vermeiden. "Das ist sehr sinnvoll, wenn es sich um einen Tiger handelt, aber nicht bei Herzklopfen", sagt der Psychokardiologe. "Denn die Folge ist, dass die Menschen zum Beispiel nicht mehr ins Theater gehen, weil sie Angst haben, dass sie bei einer neuerlichen Herzattacke nicht rechtzeitig aus dem Theater heraus zu einem Arzt kommen. Diese Ängste machen die Lebensqualität kaputt und werden richtig gefährlich, wenn es in die Depression geht." Denn im Gegensatz zur Angst sei die Depression mit erhöhter Sterblichkeit verbunden.
Selbstfürsorge lernen
Selbstfürsorge lernen und dem eigenen Herzen wieder vertrauen sind daher wesentliche Ziele der psychokardiologischen Rehabilitation. "Das gibt viel Sicherheit. Unsere Patientinnen und Patienten fangen am Wochenende selbst an, sich ein Fahrrad auszuleihen und Ausflüge zu machen."
Das ist wichtig, da Bewegung generell einer der zwei größten Schutzfaktoren sowohl für das Herz wie für die Seele ist. "Drei Mal die Woche ein Ausdauertraining wirkt bei einer Depression genauso gut wie ein Antidepressivum. Man hat hier eine echte Wahl zwischen der Chemie und der Bewegung. Das finde ich einen verblüffenden Befund. Bewegung ist supergut, um an Herz und Seele gesund zu bleiben", sagt der Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité in Berlin.
Schutzfaktoren gegen Herzinfarkt
Der zweite ebenso maßgebliche Schutzfaktor gegen einen Herzinfarkt oder gegen eine Depression ist ein ausreichend gesellschaftliches Leben in Gemeinschaft mit anderen Menschen. "Manche denken, ich will meine Ruhe, das schont meine Nerven und entlastet. Aber Einsamkeit macht krank und ist starker Risikofaktor sowohl für den Herzinfarkt als auch für die Depression", betont der Mediziner. Habe man als älterer Mensch das Glück, noch in der eigenen Wohnung bleiben zu können, sei es wichtig, sich regelmäßig mit anderen Leuten zu verabreden, aktiv bei einem Verein mitzumachen, sich ehrenamtlich zu engagieren oder Verantwortung für ein Haustier zu übernehmen.
"Es geht nicht darum, jede Herausforderung zu vermeiden, sondern um ein Gleichgewicht", sagt Köllner auf die Frage, wie viel Stress gesund oder sogar notwendig sei. "Trachten Sie danach, dass Herausforderungen und Ressourcen langfristig übereinstimmen." Wenn man sich immer nur langweile, sei das genauso schlecht, wie wenn man sich wie der Hamster im Rad fühle und dem Leben hinterherhechle.
Als ein relativ objektives Maß, für das es auch entsprechende Daten gebe, nennt der Mediziner maximal 50 Stunden Arbeit pro Woche. "Ab und zu mal eine Überstunde ist okay, aber wenn das Pensum sich regelmäßig um die 50 Stunden abspielt, bleibt keine Zeit mehr für das Leben - und damit auch nicht für die Gesundheit."
Daten & Fakten Zusammenspiel von Herz und Seele Die häufigsten durch eine Herzerkrankung ausgelösten psychischen Probleme sind Depression, Angststörung und Anpassungsstörung. Entsteht durch eine Herzerkrankung eine dieser Erkrankungen, dann sollte auch diesbezüglich Hilfe gesucht werden, heißt es in dem umfangreichen Trias-Ratgeber "Mein Herz + meine Seele".
Dieser Zusammenhang sei Herzpatientinnen und -patienten oft schwer vermittelbar. Eine der häufigsten Reaktionen sei: "Ich bin doch nicht im Kopf krank!" Bei starken Beeinträchtigungen sei dennoch Hilfe sinnvoll, auch wenn sie manchmal zunächst schwer anzunehmen sei.
Über die "Herz-Hirn-Achse" steht das Herz durch das vegetative Nervensystem mit dem Gehirn in Verbindung. Daher können Stress, Depression oder Angst sowohl zu einer erhöhten Blutgerinnungs- und Entzündungsneigung der Gefäße führen wie auch zu einer ständigen Übererregung des Herzens - wie etwa beim Bluthochdruck - beitragen.
Für das Erkennen einer Depression ist laut dem Trias-Ratgeber das Zeitkriterium "zwei Wochen am Stück" von großer Bedeutung. Dieser Zeitraum grenze eine tatsächliche Depression von einem vorübergehenden "Schlecht-drauf-Sein" ab.
Volker Köllner, Eike Langheim, Judit Kleinschmidt: "Mein Herz + meine Seele. Das Zusammenspiel von Psyche und Herz. Spannende Einblicke in die Psychokardiologie", 216 Seiten, 20,90 Euro, Verlag Trias 2021.