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"Wir sollten vor dem Nichtstun Angst haben"

Kardiologe Josef Niebauer gibt Tipps, wie man sich vor Herzerkrankungen schützt. Oder gut mit ihnen leben kann.

Tipps für das Herz.
Tipps für das Herz.

Es ist eine Folge der Pandemie, die einen großen Teil der Bevölkerung trifft - und dennoch vielen nicht auffällt: Der Trend zu Homeoffice kann unserer Gesundheit auch schaden. "Viele bewegen sich eh schon wenig. Nun fällt noch der Weg in die Arbeit weg. Und der zum Drucker - oder zum Kollegen eine Etage höher", beschreibt Josef Niebauer. Für den Kardiologen und Sportmediziner ist diese Facette der Coronakrise eine von vielen, die langfristig das wichtigste Organ unseres Körpers in Mitleidenschaft ziehen könnten. "In der Pandemie wurden Extreme extremer. Wer sich vorher kaum bewegt hat, bewegt sich nun oft fast gar nicht mehr. Und das wirkt sich ganz stark auf unser Herz aus."

Grob zusammengefasst gebe es - über die genetische Veranlagung hinausgehend - sechs Risikofaktoren, die Herzerkrankungen bedingten: Blutdruck, Blutfette, Diabetes, Rauchen, Übergewicht sowie körperliche Inaktivität. Zu viele, um sie im Griff zu haben? Nein, sagt Niebauer. Drehe man vor allem an einer Stellschraube, ließen sie sich allesamt positiv beeinflussen: "Für alle sechs gibt es die wunderbare Evidenz, dass Bewegung hilft." Denn diese wirke sich auf Essverhalten, Gewicht und die Blutfette aus. Dazu wandere Glukose dorthin, wo man sie brauchen kann - in der Muskulatur -, und helfe somit Diabetikern. "Und wir wissen, dass es leichter ist, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn man Sport treibt - vor allem wenn man in der Gruppe Sport treibt", ergänzt der Vorstand des Instituts für Sportmedizin am Uniklinikum Salzburg.

Für Niebauer ist deshalb Bewegung auch die Antwort auf die Frage, wie man sich vor Herzerkrankungen am besten schützen kann. Doch wie kann man es schaffen, mehr Bewegung, mehr Sport in das eigene Leben zu kriegen?

"Sitzen ist das neue Rauchen."
Josef Niebauer
Kardiologe und Sportmediziner am Uniklinikum Salzburg

Das Naheliegende sei, Bewegungsabläufe stärker in den Alltag zu integrieren. "Der Alltag muss möglichst unbequem sein. Wir müssen Stiegen suchen und sie nicht meiden. Und über den Mönchsberg drübergehen und nicht darum herum." Dazu appelliert Niebauer, öfter einmal das Auto stehen zu lassen - und die in Salzburg zumeist kurzen Wege zu Fuß oder per Fahrrad hinter sich zu bringen. Selbst eine Busfahrt biete schon einen gewissen Vorteil gegenüber der Autofahrt: "Da gehe ich wenigstens bis zur Haltestelle." Das Ziel müsse sein, sich sein tägliches Fitnessstudio aufzubauen. Wer das schaffe, habe schon viel getan. Denn die, die am meisten von Bewegung profitierten, seien jene, die bislang am wenigsten getan hätten. Der Mediziner zieht einen Vergleich mit der Schule: "Sich von einem Fünfer auf einen Vierer zu bringen ist meist weniger aufwendig als von einem Zweier auf einen Einser." Das sei bei Bewegung durchaus ähnlich.

Dass es vielen dennoch nicht leichtfällt, sich zu motivieren, ist dem Experten durchaus bewusst. Niebauer spricht gar von einer "gewissen Bequemlichkeitssucht": Steige man von einem Flugzeug aus, suche man gleich wieder die erste Gelegenheit, um sich hinzusetzen. "Sitzen ist das neue Rauchen", sagt der Kardiologe - und kann das Risiko von Bewegungsarmut auch mit Zahlen unterlegen: "Die Mortalität ist bei jenen, die acht Stunden am Tag sitzen und sich nicht bewegen, um 70 Prozent höher als bei jenen, die acht Stunden sitzen und eine Stunde aktiv sind." Eine Motivationshilfe könne just die Pandemie selbst liefern: "Wir wissen, dass Patienten, die fit sind, seltener an Corona erkranken und im Fall der Fälle einen besseren Verlauf haben als Übergewichtige oder Diabetiker."

Aber was gilt für all jene, die bereits eine Herzerkrankung erleiden mussten? Diese müssten bestmöglich mit dem Schaden zurechtkommen. Denn ein solcher entstehe etwa bei einem Herzinfarkt jedenfalls: Selbst bei einem kleinen Infarkt habe man Herzmuskelgewebe und somit einen Teil des wichtigsten Organs verloren. "Ein Herzinfarkt ist gekommen, um zu bleiben", sagt Josef Niebauer - und bildet eine Analogie zum Fußball. "Eigentlich hat Ihre Mannschaft elf Spieler. Nach einem Herzinfarkt spielen Sie nur noch zu zehnt. Wenn der ausgefallene Spieler sowieso eine Pfeife war - es sich also um einen kleinen Infarkt handelte -, ist es verkraftbar. Fällt Ihnen jedoch ihr Mittelstürmer oder der Tormann aus, steht es schnell mal 0:12."

Um - im Sprachbild bleibend - nicht in eine fatale Niederlage zu laufen, müsse man auf die angebrachte Medikamentierung setzen. In Sachen Ernährung sollten ebenso "die Hausaufgaben gemacht werden" - Betroffene müssten sich ausgewogen und fettarm ernähren. Aber auch bereits Erkrankten rät Niebauer zu viel Bewegung. Diese sei gar das stärkste Prädiktum für Lebenserwartung: "Wir sind alle auf der Suche nach dieser einen Tablette, nach der alles gut ist. Dieses Therapeutikum gibt es - das ist die körperliche Bewegung."

Die Angst, sich durch zu viel Sport erst recht in einen Herzinfarkt zu treiben, sei indes unbegründet, ergänzt Niebauer. Die Gefahr, als Trainierter während des Sports einen Infarkt zu kriegen, sei wesentlich geringer, als als Untrainierter einen zu erleiden - etwa während man am Wochenende dann doch auf einen Berg will. Wer bereits mit einem Schaden am Herzen zu kämpfen hatte, müsse freilich mit seinem Arzt klären, welche Art der und welche Intensität an Bewegung für ihn passend seien. "Wer zum Beispiel nach einer Herzkranzgefäßverengung einen Stent eingesetzt bekommen hat und Medikamente nimmt, kann ein halbes Jahr oder Jahr später möglicherweise Leistungssport treiben." Es gebe gar "etliche Patienten", die sich nach einer Herzerkrankung und der folgenden Reha deutlich besser fühlten als zuvor. "Von denen höre ich dann: Wieso habe ich Rindvieh nicht schon viel früher mit Sport angefangen." Auch deshalb fällt Niebauers Fazit eindeutig aus: "Wir dürfen nicht vor der Bewegung Angst haben. Vielmehr sollten wir vor dem Nichtstun Angst haben."

SN-Abend zum Thema Herzerkrankungen

Weitere Tipps und Ausführungen zum Thema Herzerkrankungen gab Josef Niebauer bei einem Vortragsabend live im SN-Saal. Hier können Sie das Video nachträglich ansehen.