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Klimawandel gefährdet Wohnraum in alpinen Tälern

Die Katastrophe von Blatten zeigt auf, wie vulnerabel Talregionen sind. Was bedeutet das für die Menschen, die dort wohnen?

Der Gipfel des Hochvogels an der Grenze zu Tirol droht demnächst auseinanderzubrechen.
Der Gipfel des Hochvogels an der Grenze zu Tirol droht demnächst auseinanderzubrechen.

Die Naturkatastrophe im schweizerischen Blatten hat einen Vorgeschmack auf die Zukunft in der Alpenregion gegeben. Bis 2050 werden aktuellen Schätzungen zufolge die Alpen eisfrei sein, bis dahin wird auch der Permafrost verschwunden sein, der Kitt, der die Berge zusammenhält. Der Gipfel des Hochvogels, des "Matterhorns des Allgäus", eines 2592 Meter hohen Bergs an der Grenze zu Tirol, droht auseinanderzufallen. Der mehrere Meter breite Riss wird in den nächsten Jahren einen Absturz von 260.000 Kubikmetern Geröll auslösen, das Gebiet unterhalb ist unbewohnt.

Erforschung steigender Gletscherrückzug-Risiken

Bei der Georesearch Forschungsgesellschaft beobachtet man zunehmende Massenbewegungen, insbesondere in den von Gletscher und Permafrost beeinflussten Bereichen. Dort wo das Gletschereis schon weggeschmolzen sei, bestehe eine um zehn Mal höhere Gefahr für Steinschläge als im gefrorenen Bereich, sagt Geschäftsführer Markus Keuschnig. Das Problem bei Felsstürzen sind die Kaskadeneffekte, wenn das lose Gestein unter dem geschmolzenen Gletschereis durch Starkregenereignisse ins Tal befördert wird, im schlimmsten Fall mit einer Mure wie in Blatten, die zur Gefahr für das gesamte Tal werden kann.

Risikoanalysen beeinflussen Umsiedelungspolitik

Was aber bedeutet es für die Menschen im alpinen Raum, wenn die Gefahr zum Dauerzustand wird? Man wägt Aufwand und Nutzen ab, sagt Georg Bayerle, der sich in seinem Buch "Der Alpen Appell" mit dem Thema auseinandersetzt und einen bedachteren Umgang mit dem Naturschatz einfordert. In der Schweiz fallen bisherige Risikoanalysen bislang nicht sehr gut für die Bevölkerung aus. In manchen von Naturkatastrophen bedrohten Bereichen müssen Menschen bereits weichen: weil ihre oft jahrhundertealten, seit vielen Generationen bewohnten Häuser weniger wert sind, als entsprechende Schutzanlagen kosten würden.

Satelliten überwachen geologische Veränderungen

Nun gibt es weder Einschätzungen, in welcher Häufigkeit solche Naturereignisse künftig auftreten werden, noch valides Prognosematerial. Die vorhandenen Aufzeichnungen sind längst keine große Hilfe mehr, nachdem sich die Ereignisse zuletzt überschlagen haben: Das "Jahrhunderthochwasser" etwa kommt mittlerweile alle paar Jahre vor. Markus Keuschnig von Georesearch stellt klar: "Die Statistiken der Vergangenheit haben keine Gültigkeit mehr." Umso schneller müssten jene Bereiche ausgemacht werden, in denen Probleme auftreten könnten, sagt er. Mit der Satellitentechnologie stünden neue Methoden bereit, um die geologischen Flächen zu beobachten. Den Felssturz des Fluchthorns in Tirol von vor zwei Jahren hingegen, bei dem eine Million Kubikmeter Geröll herunterkrachte, habe man nicht auf dem Radar gehabt.

Baulandplanung hält Gefahrenzonen ein

Gleichzeitig wollen Menschen weiterhin in den Gebirgstälern leben, doch der Platz ist begrenzt. In Österreich liegt der Anteil des zum Wohnen und wirtschaftlichen Nutzen verfügbaren Grunds und Boden im Schnitt bei 38 Prozent, im Lungau sind es nur 11,4 Prozent, im Pinzgau 14 und im Pongau gut 16 Prozent. Innergebirg gibt es kaum Möglichkeiten, den Siedlungsraum auszudehnen, eher im Gegenteil, die roten Zonen werden künftig eher zunehmen. David Oberhummer von der Raumplanung beim Land Salzburg betont, dass man sich bei der Genehmigung von neuem Bauland strikt an die Gefahrenzonenpläne im Raumordnungsgesetz halte. In roten Zonen dürfe nicht gebaut werden, außer es kann durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen für ausreichend Schutz gesorgt werden.

Effiziente Raumordnung fordert Veränderung

Das wird künftig die Frage nach einer neuen Raumordnung aufwerfen, die den vorhandenen Boden bestmöglich nutzt. Und hier lässt das Einfamilienhaus in Österreich scheinbar nur wenige Alternativen zu. In einem von AK und dem Salzburger Institut für Raumordnung und Planung herausgegebenen Leitfaden über förderbaren Wohnbau in Salzburg jedenfalls wird erwähnt, dass sich innergebirg nur zwei Gemeinden bereit erklären, Grund und Boden effizient, etwa durch die Festlegung einer Mindestdichte, zu nutzen. Eine Gemeinde im Pongau schreibt etwa vor, dass auf Parzellen mit mehr als 700 Quadratmetern mindestens zwei Wohneinheiten errichtet werden müssen. David Oberhummer vom Land Salzburg sagt dazu: "Fachlich sind wir uns einig, dass das Einfamilienhaus nicht die Wohnform der Zukunft ist." Eine Möglichkeit, um Wohnraum zu schaffen, sei die Nachverdichtung, wie es im urbanen Raum bereits stattfinde. Innergebirg werde das Wohnen künftig mehr als bisher über den Preis geregelt werden, vermutet Oberhummer.

Klimaforscherin untersucht Alpen-Siedlungen

An der Universität Innsbruck ist die Klimaforscherin Margreth Keiler gerade dabei, die Siedlungssituation im Alpenraum zu erheben. Von den zwei Millionen Wohngebäuden in Österreich befinden sich laut der Klimaforscherin 13 Prozent an exponierten Stellen, und hier vor allem im Hochwasserbereich. Von den 37.000 Hotel- und Gastronomiebetrieben im Land sind 23 Prozent in den Gefahrenzonen eines Wildbachs oder in der Nähe von Lawinenhängen. In diesen Bereichen und in Tälern generell müsse geschützt werden, was zu schützen sei, sagt der Geologe Markus Keuschnig. Der Neubau müsse stärker präventiv gedacht werden, wenn aus den Schutzplänen der Vergangenheit keine Prognosen für die Zukunft abgeleitet werden können beziehungsweise Pegelhochstände nur Momentaufnahmen seien, die sich jederzeit verändern könnten. In der Schweiz hat man erhoben, wie sich der Kegel eines Wildbachs verändert bei laufender Wartung der Sperren beziehungsweise bei Vernachlässigung. Moderne Sperren, die Geröll weitgehend aufhalten, erhöhen die Flusssohle im Tal um 80 Zentimeter; kann das Gerinne ungehindert fließen, türmt es sich im Bachbett auf bis zu 2,70 Meter auf. Weitere Hochwasserereignisse sind also programmiert.

Umso wichtiger sei, die langfristige Finanzierung für Schutzmaßnahmen zu sichern, sagt der Geologe Keuschnig. Er plädiert, die zukünftigen Herausforderungen gemeinsam und interdisziplinär zu bewältigen, und das rasch. Das betreffe auch die Raumordnung, die spätestens dann nicht nur in den Händen der Bürgermeister bleiben solle, wenn Naturereignisse ganze Täler betreffen und die Schäden auch von anderen Gemeinden und Institutionen getragen werden müssen.